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also kein Staat ist, ist in der That die einzige, welche mit der vom Verf.
aufgestellten Prämisse, dass die Souveränität ein wesentliches Begriffsmerk-
mal des Staates sei, sich vereinigen lässt; ob sie aber den thatsächlichen Ver-
hältnissen, den bestehenden Rechtsanschauungen der zunächst Beteiligten
und den im Völkerrecht geübten Rechtsgrundsätzen entspricht, dürfte doch
mindestens sehr zweifelhaft sein. In der Darstellung des Verf. tritt sie
übrigens durchaus nicht klar hervor und ich halte es nicht für ausgeschlossen,
dass er sich vielleicht sehr dagegen verwahrt, dass ihm diese Theorie unter-
geschoben werde. Es ist aber sehr schwer, aus den nach allen Seiten ab-
schweifenden Erörterungen, welche eine einfache, logische, auf ein bestimmtes
Ziel zuschreitende Deduktion sehr vermissen lassen, festzustellen, wie der
Verf. den Begriff des halbsouveränen Staates eigentlich auffasst und wie er
ihn mit den von ihm zu Grunde gelegten Begriffen von Staat und Souve-
ränität in Einklang bringen zu können glaubt.
Auf die zahlreichen theoretischen Einzelfragen, meistens völkerrecht-
lichen Inhalts, welche der Verf. in seine Darstellung einmengt, kann ich hier
nicht eingehen; hervorzuheben ist die beachtenswerte Untersuchung über
den Unterschied zwischen Halbsouveränität und Protektorat (S. 179 ff., be-
sonders S. 190 £.). Laband.
B. O0. T. Schafter, Hohe Politik. Kritische Randbemerkungen zum inter-
nationalen Leben der Gegenwart. Zweite umgearbeitete Auflage.
Berlin 1902. 173 8.
Die erste im Jahre 1898 erschienene Auflage dieser sehr interessanten
und gut geschriebenen Aufsätze hat mit Rücksicht auf die Haager Kon-
vention von 1899 und auf die gemeinsame Unternehmung der Mächte in
China eine Umarbeitung erhalten; der wesentliche Grundgedanke aber ist
unverändert geblieben. Der Verf. wendet sich gegen den Individualismus
oder Nationalismus in der auswärtigen Politik, d. h. gegen diejenige Art der
diplomatischen Kunst, welche die anderen Kulturstaaten als lästige oder
feindliche Konkurrenten ansieht und lediglich darauf ausgeht, ihnen gegen-
über gewisse Vorteile zu erjagen. Er wendet sich andererseits gegen die
Phantasterei eines ewigen Friedens und gegen den Kosmopolitismus, der die
T,ösung aller Uebel von einem Weltstaat oder von den vereinigten Staaten
Europas erhofft. Im Gegensatz zu diesen beiden Extremen stellt der Verf.
als den obersten Grundsatz der hohen Politik den „Internationalismus* auf,
d. h. die Verwirklichung der Gesellschaftsidee, der Interessengemeinschaft
unter den Kulturstaaten. Die Haager Konvention ist, wie der Verf. aus-
führt, eine durchaus ungenügende Verwirklichung dieser Idee, aber immerhin
ein dankenswerter Anfang dazu. Der Verf. empfiehlt als das geeignete
Mittel den Abschluss eines „Staatengrundvertrages“, welcher unter den