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wäre auch für die Praxis willkommener gewesen, als dieses Supplement, mit
Rücksicht auf den grundsätzlichen Standpunkt GERSTNERs zur Frage der
Texterläuterung, wie er ihn nicht nur im Vorwort (Suppl. S. IV) selbst dar-
legt, sondern auch durchweg bethätigt; danach hat neben dem Wortlaute
hauptsächlich der aus dem ganzen Zusammenhange sowie aus der
Entstehungsgeschichte erkennbare Sinn und Zweck der Vorschriften
die Grundlage der Auslegung zu bilden und ist auf eine „Kritik“ der Brauch-
barkeit etc. der Vorschriften (wie sie sich bei EsEß, Komm., mehrfach, z.B.
S. 62—63, 139, 253 u. 258 etc. findet), von vornherein zu verzichten. Eine
solche Auffassung des Berufs eines Kommentators wird für die praktische
Anwendung der Vorschriften immer von segensreichem Einflusse sein, um
so mehr, wenn, wie hier, der Interpret zugleich an der Entstehung der
Vorschriften aktiv (als deutscher Kommissar) beteiligt war. —
Der Eeersche Kommentar berücksichtigt selbstverständlich ebenfalls
den Zusammenhang, Sinn und — sogar sehr eingehend — die Entstehungs-
geschichte der Vorschriften; er legt aber ersichtlicherweise doch das Haupt-
gewicht auf die juristische Erläuterung des Materials (vgl. auch Vorw.
z. 1. Aufl. d. Komm., S. III). Satz für Satz und beinahe Wort für Wort
erfährt letzteres eine bis ins kleinste gehende juristische Zergliederung.
Unter umfassender Würdigung aller einschlägigen Streitfragen der gesamten
Litteratur und Judikatur wird auch in der neuen Auflage regelmässig bei
jedem Punkte ein scharf pointierter Grundsatz über Bedeutung und Trag-
weite des Wortlauts entwickelt und von diesem aus das weitere abgeleitet.
Der Kommentar ist demnach, wie übrigens alle mir näher bekannten Werke
EsERs, ein rein juristisches Buch und weist als solches alle Vorzüge der
Eserschen Bücher auf, als da sind: Schärfe der juristischen Distinktion,
Vollständigkeit des Materials nach jeder Richtung hin, fleissigste Durch-
dringung sowie absolute Beherrschung des Stoffes und dergleichen mehr.
Aber der unparteiische Beurteiler kann gegenüber solchen bedeutsanıen,
den Wert des Buches entscheidenden Vorzügen doch nicht übersehen, dass
gerade diese Vorzüge hier und da auch zu Quellen gewisser Mängel werden,
indem die zu weit getriebene Vollständigkeit zu Wiederholungen führt (vgl.
z. B. Komm. $. 253 und 259) und das Bestreben, scharf juristisch zu inter-
pretieren, stellenweise zur Haarspalterei wird. Wenn Ecker z. B. (Komm.
S. 7) meint, die Worte in Art. 1 des Internationalen Uebereinkommens:
„Das gegenwärtige... . Uebereinkommen findet Anwendung . . .“ wiesen
auf die Geltungsdauer des Internationalen Uebereinkommens hin, was be-
sonders aus dem Worte „gegenwärtig“ gefolgert wird, so wird dem Verf.
dies von keinem Praktiker so leicht zugegeben werden, und die herbe Kritik
dieser Auslegung bei GERSTNER (S. 16 Anm. 1) scheint mir nicht völlig
unverdient.
Dass im übrigen die früheren Meinungsverschiedenheiten zwischen EgEr
und GERSTNER, die in fast allen wichtigeren Fragen dieser Materie vorhanden