Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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nicht nur sehr gründlich und in alle Fragen eindringend, sondern auch von 
vorzüglicher Klarheit. Nach einer einleitenden Erörterung über die Staats- 
gewalt und ihre Funktionen, in welcher er die Theorie von der Teilung der 
Gewalten kritisiert und die Unterscheidung von Gesetzgebung, Verwaltung 
und Rechtsprechung lediglich nach den dazu berufenen Organen in ihrer 
wissenschaftlichen und praktischen Unhaltbarkeit darlegt, erbringt er den 
Nachweis, dass auch im französischen Recht der in der Natur der Sache 
begründete Gegensatz von formellen und materiellen Gesetzen besteht und 
zur praktischen Anerkennung gelangt ist und dass die Verordnungen in die 
zwei grossen Klassen der Rechtsverordnungen und Verwaltungsverordnungen 
zerfallen. Die ersteren sind Gesetze zweiter Ordnung, „Kleingesetze“, die 
letzteren Anweisungen, welche nur innerhalb der Verwaltungsbehörden selbst 
ihre Rechtswirkungen äussern, wenngleich mittelbar auch das Publikum 
von ihnen betroffen wird. Von diesen in sehr ausführlichen Erörterungen 
begründeten Grundanschauungen aus geht er auf das Detail der von ihm 
behandelten Lehre ein, in erster Reihe natürlich immer mit Rücksicht auf 
das französische Recht. In allen seinen Ausführungen kann ich ihm freilich 
nicht beistimmen; so namentlich darin, dass aus der Stellung des Chefs der 
Regierung und seiner Aufgabe, die Verwaltung zu leiten und die Staats- 
interessen zu fördern, sich auch ohne gesetzliche Ermächtigung die Befugnis 
zum Erlass von Rechtsverordnungen ergiebt und dass er sowohl secundum 
und intra legem, als auch praeter legem diese Befugnis ausüben kann, 
sofern nicht eine Materie ihm durch Verfassung und Gesetz ausdrücklich 
entzogen und dem Bereich der Gesetzgebung vorbehalten ist. Wenn der 
Verf. sich hier namentlich dagegen erklärt, dass die Ermächtigung keine 
„spezielle* zu sein braucht (S. 234f.), so kämpft er gegen ein Phantom; sie 
kann auch eine generelle sein, wie z. B. im Art. 45 Preuss. Verf.; aber 
es muss eine positive Ermächtigung sein, nicht bloss das Nichtvorhanden- 
sein eines Verbots. Das richterliche Prüfungsrecht erkennt der Verf. nicht 
nur hinsichtlich der Gültigkeit der Verordnungen, sondern auch hinsichtlich 
der Verfassungsmässigkeit der formellen Gesetze an und er wiederholt hier 
alte und meines Erachtens längst widerlegte Betrachtungen. Die Be- 
schränkung dieses Prüfungsrechts auf die Gerichte führt zu dem Dilemma, 
dass ein und dasselbe Gesetz für die Gerichte ungültig, für die Verwaltungs- 
behörden verbindlich sein kann, dass es in dem Bezirk eines Gerichts als 
gültig, in dem Bezirk eines anderen Gerichts als ungültig angesehen wird und 
dass ein Gericht in Widerspruch treten kann mit der übereinstimmenden 
Ansicht aller an der Gesetzgebung beteiligten Faktoren. Wenn der Verf. 
gegen die Ansicht, dass die kaiserliche Ausfertigung der Reichsgesetze ein 
Urteil enthalte, welches das verfassungsmässige Zustandekommen des Gesetzes 
konstatiert, den Einwand erhebt, dass ein Urteil nicht vorliege, weil es an 
einem Streit fehlt, so übersieht er, dass es auch andere mit Rechtswirkung 
ausgestattete Urteile giebt als Prozessentscheidungen., Die Anerkennung der
	        
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