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heiten beruhen aber zu einem guten Teil auf dem Unterschied der herr-
schenden Stammesrechte; andererseits reicht das System der persönlichen
Rechte lebendig in Oberitalien bis ins 15., in den beiden Sizilien in seinen
Resten sogar bis ins 19. Jahrhundert hinein; die beiden Kollisionsordnungen
existieren also in weitem Mass nebeneinander (S. 169 ff., 303 ff.), und so ist
es notwendig, ihr gegenseitiges Verhältnis zu untersuchen. Der Verf. beginnt
das unter Vorführung eines reichhaltigen selbständig gesuchten und be-
arbeiteten Urkundenmaterials und umfassender Benützung der alten wie
neuen Litteratur; sein Weg führt ihn zum Teil auf so gut wie „unbetretene“
Gebiete, überall arbeitet er unmittelbar aus erster Hand: hinter seinem Buch
steht ein ausserordentlicher Aufwand von Kraft und Mühe.
Das vorliegende erste Stück des Werkes beginnt mit einer kurzen Er-
örterung der Begriffe der Personalität und Territorialität des Rechts; der
Verf. versteht unter Personalität die Thatsache, dass die Zugehörigkeit zu
gewissen historisch bestimmten Stämmen eine Verschiedenheit des Rechts
für den einzelnen hervorbrachte, und dass diese Stammesrechte ausschliessend
persönlich galten, d. h. niemals auf Grund einer rein räumlichen Beziehung
zur Anwendung kamen, bei der Territorialität hingegen handelt es sich um
die räumliche Geltung des Rechts, um seine Anwendbarkeit also auf Grund
räumlicher Beziehungen. (Ich darf nicht verschweigen, dass die Hoch-
schätzung, die ich für die historische Arbeit des Verf. hege, sich auf seine
allgemeinen Erörterungen, soweit sie begrifflich-dogmatischer Natur sind,
nicht miterstreckt. Was der Verf. insbesondere über die „räumliche
Geltung“ des Rechts 8.16 ff. sagt, ist meines Erachtens nicht klar und ver-
tieft genug; es ist wohl nicht unbescheiden, wenn ich ihn auch auf S. 38ff.
und 121f. meines „Internationalen Privatrechts* I und die Untersuchungen
S. 251 ff. dort hinweise.)
Im übrigen zerfällt der vorliegende Band in zwei Teile: der erste (bis
S.177) betrifft die Verhältnisse in Oberitalien, der zweite die in Unteritalien
mit Sizilien. In jedem Teil wird der Schilderung, wie die persönlichen
Rechte gegolten haben, vorausgeschoben eine Untersuchung über die Landes-
rechte; hier handelt es sich natürlich vor allem um das longobardische Recht,
um seine Geltung, sein Verhältnis zu den Kapitularien, zum römischen Recht,
zu den Stadtrechten (s. für Oberitalien S. 127: „es ist der Angelpunkt des
Verständnisses für die Geschichte der persönlichen Rechte in den letzten
Jahrhunderten, dass ihre Geltung im longobardischen als örtlichem Recht
wurzelt, und dass dessen Verbindlichkeit von der Zulassung der einzelnen
Städte abhängt“). So erwächst das Buch zu einer fesselnden fast dramatisch
wirkenden Geschichte des longobardischen Rechts von seiner Blüte bis zu
seinem Untergange in Italien. Eine Reihe feiner und wertvoller Einzel-
untersuchungen und -erörterungen ist eingestreut; ich hebe hervor die Be-
merkungen über die Rezeption des römischen Rechts S. 53f., über die pro-
fessiones S. 111 ff., 259. und die angebliche freie Wahl des Rechts 8.147 fi.