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will Herr von ScHAUENSEE mit seiner Darstellung die vergleichende Rechts-
wissenschaft fördern, weil er nicht in der Isolierung, sondern in der Gemein-
schaft den Fortschritt findet und wünscht, namentlich die Juristen Deutsch-
lands, Oesterreichs und der Schweiz zu vergleichender Betrachtung ihrer
Rechtsinstitutionen anzuregen. Diese auf die Nutzanwendung der schweize-
rischen Erfahrungen für Deutschlands Strafrechtsreform gemünzten Ausfüh-
rungen sind besprechenswerter. Zuvörderst warnt Herr von SCHAUENSEE vor
jeder Unklarheit und jeder Schwankung der grundsätzlichen Stellungnahme.
Gegen Kant und von Liszt will er mit BirKMEYER, dass der Gesetzgeber
sich zunächst fest auf eine der bekannten Strafrechtstheorien stelle und in
seiner Reform nichts wie deren Ausbau erstrebe. Solch planmässiges Vor-
gehen habe es ermöglicht, dass das deutsche Strafgesetzbuch vom 15. Mai
1871 in noch nicht zwei Jahren habe fertiggestellt werden können. — Diese
Ausführung entspricht unseres Erachtens nicht den geschichtlichen That-
sachen. 1871 stand der deutsche Reichstag unter den Eindrücken des eben
erst Errungenen auf einer Höhe, die ihn jeder nationalen Bau- und Besse-
rungsarbeit schaffensfreudig gewachsen zeigte. In dem preussischen Straf-
gesetzbuch vom 14. April 1851 hatte man zudem mutatis mutandis den besten
Entwurf fix und fertig. Zum dritten: Bismarck selbst trat für die Vorlage
ein. Die heutigen Reichstagsverhältnisse bieten für die notwendige parla-
mentarische Mitwirkung wesentlich ungünstigere Voraussetzungen. Mag das
Vorgehen des Reichsjustizamtes mit seiner sorgsam und gründlich angelegten
Expertenkommissionsverhandlung noch so planmässig sein, einmal kommt doch
die Stunde der parlamentarischen Erörterung. Erst dann wird sich im Lichte
der Oeffentlichkeit zeigen, ob nicht die von den modernen Männern der
Wissenschaft auf den Kathedern der Universitäten, aber auch von den Sozial-
demokraten mit ihren Schleppenträgern unausgesetzt betriebenen Versuche,
das Bewusstsein, ein gutes Strafrecht zu besitzen und das Gefühl für Ge-
rechtigkeit zu erschüttern, eine Saat haben aufgehen lassen, die auch einer viel-
leicht gross gedachten und gross angelegten Strafrechtsreform dasselbe müh-
sam sbgequälte Ergebnisende bereitet, dem seiner Zeit leider auch die sog.
lex Heinze verfallen ist.
Der Herr Verf. weist weiter darauf hin, wie die Strafe als solche be-
grifflich immer Repression bleibe, wie sie allein und für sich nur ein
einzelnes und eigentlich untergeordnetes Mittel im Kampfe gegen das
Verbrechertum sei und erst dadurch, wie der Gesetzgeber sie mit dem Kreise
anderer nicht aus ihr, sondern aus Zweckmässigkeitsgründen und allge-
meinen Staatsaufgaben abgeleiteten Präventivmassregeln verbindet, über
die Enge eines Instituts der Begriffsjurisprudenz hinausgehoben werde.
Er spottet darüber, wie die ganze Herstellung solchen Zusammenhanges
der Strafgesetzgebung mit der Vorbeugung gegen Verbrechen in der
Schweiz darin bestehe, dass die Bundesververfassung 1890 dem Bunde
gleichzeitig mit der Strafgewalt die Befugnis eingeräumt habe, sich an Ein-