Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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auslegung ist?®. Es ist ferner zweifellos, dass Verordnungen des 
Bundesrats und der Reichsbehörden in rechtswirksamer Weise 
im Reichsgesetzblatt verkündet werden. Wenn aber Art. 2 
R.-V. nur für die formellen Reichsgesetze bestimmt, dass sie 
ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung vermittelst des 
Reichsgesetzblattes erhalten, so fehlt es an einer reichsgesetz- 
lichen Bestimmung, welche auch die Verkündigung von Verord- 
nungen vermittelst des Reichsgesetzblaties mit verbindlicher Kraft 
für das ganze Bundesgebiet ausstattet. Man muss also unter 
„Reichsgesetzen* auch die Reichsverordnungen mit verstehen, 
insofern sie im Reichsgesetzblatt mit rechtsverbindlicher Kraft 
verkündet werden können, und gleichzeitig die Rechtsverord- 
nungen den formellen Gesetzen entgegenstellen, indem sie nicht 
im Reichsgesetzblatt verkündet werden müssen. Auch in dieser 
Hinsicht erweist sich diese Auslegung daher undurchführbar. 
Doch wenn man auch annimmt, dass die vom Reichsgericht 
gebilligte Interpretation des Art. 2 richtig sei, so würde dadurch 
nur festgestellt werden, dass die Reichsverfassung, welche an 
  
2 SeypEL, Kommentar zur Reichsverfassung (2. Aufl. S. 45), behauptet, 
um diesen Interpretationsfehler zu vermeiden, dass der Art. 2 auch in seinem 
ersten Satze gleichfalls nur an formelle Gesetze denke, weil zur Zeit der 
Feststellung der Norddeutschen Bundesverfassung und der Reichsverfassung 
die Unterscheidung materieller und formeller Gesetze, „der natürlich sachlich 
auch für die Reichsverfassung vorhanden ist, nichts weniger als wissenschaft- 
liches Gemeingut gewesen ist“. Allein man hat den Ausdruck „Gesetz“ 
immer sowohl in der wissenschaftlichen Litteratur als in der vulgären 
Sprache, sowie in der Gesetzgebung selbst in dem weiteren Siun von Rechts- 
vorschrift gebraucht und zwar gerade weil man sich des Gegensatzes von 
Gesetzesform und Rechtsinhalt nicht bewusst war. Der Gesamtinhalt des 
Art. 2 betrifft nicht die Form der Gesetze, sondern das Verhältnis des 
Reichsrechts zum Landesrecht und stellt im Gegensatz zu den Be- 
schlüssen des ehemaligen Bundestages den Grundsatz auf: „Reichs- 
recht bricht Landesrecht“. Würde man im Art. 2 der R.-V. das Wort 
„Gesetz“ im formellen Sinne nehmen, so würden die Reichsgesetze nur den 
formellen Landesgesetzen, aber nicht den Verordnungen der Einzelstaaten vor- 
gehen, was widersinnigist. Bedeutet aber das Wort Landesgesetz das Landes- 
recht, so muss auch das Wort Reichsgesetz das Reichsrecht bedeuten.
	        
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