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keiner anderen Stelle die Art der Verkündigung reichsrechtlicher
Vorschriften behandelt, keine Vorschrift über die Verkündigung
von Rechtsverordnungen enthalte. Daraus würde aber nur folgen,
dass diese vermeintliche Lücke der Verfassung durch ein ein-
faches Reichsgesetz ausgefüllt werden kann, ohne dass die für
Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Erfordernisse erfüllt zu
werden brauchen. Dagegen folgt aus dem Mangel einer ausdrück-
lichen Vorschrift über die Art der Verkündigung nicht, dass die
Rechtsverordnungen des Bundesrates in regelloser und willkür-
licher Weise verkündet werden können und der Bundesrat in
jedem einzelnen Falle nach seinem Belieben die Art der Ver-
kündigung bestimmen dürfe. Es ist vielmehr zu untersuchen, ob
sich aus dem Wesen und Zweck der Verkündigung gewisse all-
gemeine Erfordernisse ergeben, welche auch ohne besondere
gesetzliche Vorschrift beobachtet werden müssen, und von denen
nur dann Abstand genommen werden darf, wenn eine besondere
gesetzliche Anordnung dies positiv gestattet. Für die Verkün-
digung von Rechtsverordnungen muss auch ohne ausdrückliche
Vorschrift eine solche Form gewählt werden, welche den all-
gemeinen Erfordernissen der Verkündigung von Rechtsvorschriften
entspricht. Der Abdruck im Centralblatt des Deutschen Reichs
würde nur dann als rechtswirksame Verkündigung anzusehen sein,
wenn er diesen Erfordernissen genügt.
Dies soll im folgenden untersucht werden.
II.
Die Verkündigung von Rechtsvorschriften steht im Zu-
sammenhang mit dem Grundsatz ignorantia juris nocet. Jeder
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® Auch Zorn in Hirths Annalen 1885 lässt ein Ermessen der Regierung
hinsichtlich der Art der Verkündigung nur unter der Beschränkung zu,
„wenn damit dem Begriffe der Publikation Genüge geschieht“. Ueber die
Erfordernisse der Publikation verweist er auf die Ausführungen in meinem
Staatsrecht; leider prüft er aber nicht, inwieweit ein Abdruck im Central-
blatt diesen Erfordernissen entspricht.