Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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ist verpflichtet, sein Thun und Lassen mit der bestehenden Rechts- 
ordnung im Einklang zu erhalten. Dass man bei der Beurteilung 
der subjektiven Schuld und der Verhängung oder Abmessung 
einer Strafe auf Unkenntnis eines Gesetzes Rücksicht nehmen 
kann, steht der Geltung des Prinzips, ohne welche es überhaupt 
keine wirksame Rechtsordnung geben würde, nicht entgegen. 
Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Rechtsvorschrift selten 
oder häufig zur Anwendung kommt, und ob sie ihrem Inhalte 
nach im wesentlichen das Verhalten der Behörden oder das der 
Privatpersonen regelt. Jede Rechtsvorschrift bildet einen Teil 
der Gesamtrechtsordnung und erfordert Beobachtung von jedem, 
der aus irgend einem Grunde von ihr betroffen wird; so wie sie 
andererseits auch ihm zu gute kommt. Jede Rechtsvorschrift muss 
daher kundbar gemacht werden; ihre Kundbarkeit ist eine Existenz- 
bedingung. Es genügt insbesondere nicht, dass sie nur den Be- 
hörden, welche sie anzuwenden haben, zur Nachachtung mitgeteilt 
oder erkennbar gemacht wird, was für Dienstvorschriften (Ver- 
waltungsverordnungen) allerdings ausreicht. 
Um die Kundbarkeit zu erreichen, giebt es zwei Methoden, 
welche man als die materielle und formelle bezeichnet‘. Die eine 
ist darauf gerichtet, dass die wirkliche Kenntnis den einzelnen 
Individuen vermittelt wird, z. B. durch Verlesen der Vorschrift 
bei Hörnerklang oder Trommelschall in den Strassen der ein- 
zelnen Ortschaften, Verlesen von oder vor der Kanzel, öffent- 
lichen Anschlag am Gemeindehause oder an den Strassenecken 
und dergleichen®. Die andere Art beruht auf der Sanktion eines 
Rechtssatzes, welcher die Fiktion juris et de jure begründet, 
* Vgl. Jos. Lukas, Ueber die Gesetzespublikation, Graz 1903 S. 7£f. 
8 Vgl. über die älteren Formen der Verkündigung in Preussen HEype- 
MANN, Einleitung in das System des Preuss. Civilrechts, 2. Aufl. 1861 S. 82, 
v. Rönne, Staatsrecht der Preuss. Monarchie, 3. Aufl. I, 1 S.200. Vgl. auch 
Koc# in der Juristischen Zeitung für die Kgl. Preuss. Staaten, Jahrgang 
1833 S. 252.
	        
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