Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

— 314 — 
III. 
Das formelle Verkündigungsprinzip hat nicht nur Bedeutung 
für die sichere Erkenntnis, welche Rechtsvorschriften erlassen 
sind, sondern auch dafür, dass keine anderen Rechtsvor- 
schriften (vom Gewohnheitsrecht selbstverständlich abgesehen) 
bestehen als die ordnungsmässig verkündigten. Hier tritt der 
Zusammenhang des formellen Verkündigungsprinzips mit dem 
Grundsatz ignorantia juris nocet besonders scharf hervor. Jeder 
Unterthan muss sich mit absoluter Sicherheit darüber Gewissheit 
verschaffen können, welche Rechtsvorschriften für eine Frage, die 
für ihn im einzelnen Falle von Wichtigkeit ist, bestehen. Dazu 
ist erforderlich, dass Rechtsvorschriften in keiner anderen 
Weise verkündet werden als in der gesetzmässigen. Nur diese 
zu kennen, kann der Unterthan verpflichtet sein. 
Preussisches Allgemeines Landrecht Einleitung 8 12: 
„Es ist aber auch ein jeder Einwohner des Staats sich um die 
Gesetze, welche ihn oder sein Gewerbe und seine Handlungen 
betreffen, genau zu erkundigen gehalten; und es kann sich nie- 
mand mit der Unwissenheit eines gehörig publizierten Ge- 
setzes entschuldigen.“ 
Der Grundsatz ignorantia juris nocet ist nur in dieser Be- 
schränkung erträglich und durchführbar. Der Unterthan kann 
sein Verhalten in rechtlich erheblichen Angelegenheiten nur nach 
denjenigen Rechtsvorschriften einrichten, die ihm als solche er- 
kennbar sind!!, und es müsste alle Rechtssicherheit zerstören, 
wenn seine Rechtsverhältnisse, wenn sie streitig werden, nach 
Normen beurteilt werden, deren Existenz für ihn eine Ueber- 
!! Der Gegensatz des materiellen und des formellen Verkündigungs- 
prinzips ist in dieser Hinsicht von Bedeutung. Bei dem materiellen Prinzip 
wird die Kenntnis des Gesetzes dem einzelnen soviel wie möglich entgegen- 
gebracht und von ihm nur ein rezeptives Verhalten erfordert; das formelle 
Prinzip nötigt den einzelnen zu einem positiven Thun, um sich die Kenntnis 
des bestehenden Rechts zu verschaffen. Das Gesetz kommt nicht mehr zu 
ihm, sondern er muss das Gesetz aufsuchen.
	        
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