— 8315 —
raschung ist, weil sie an einem Orte veröffentlicht sind, der ge-
setzlich zur Verkündigung nicht bestimmt ist!
Aber nicht nur die Unterthanen, auch die Behörden und
insbesondere die Gerichte müssen den Gresamtbestand der gelten-
den Rechtsvorschriften zu übersehen im stande sein und durch
ein sicheres und untrügliches Merkmal Rechtsvorschriften von
anderen Anordnungen, namentlich Dienstanweisungen, Verwaltungs-
verordnungen, Erläuterungen und Belehrungen u. s. w. unter-
scheiden können, wenn nicht die Verwaltungspraxis und Recht-
sprechung darunter leiden soll.
Die Entscheidung des Reichsgerichts, welche den Ausgangs-
punkt dieser Untersuchung bildet, ist dafür besonders lehrreich.
Welche Kriterien hatte der Richter erster oder zweiter Instanz
zur Entscheidung der Frage, ob die „Grundsätze“ eine Ver-
waltungsvorschrift oder eine Rechtsvorschrift sind? Aus dem
Inhalt der „Grundsätze“ ist dafür nichts zu entnehmen; ihrem
Inhalte nach können sie sowohl das eine wie das andere sein;
entscheidend ist allein, wie sie gemeint sind; ob sie in der Ten-
denz beschlossen sind, Rechtssätze aufzustellen, oder in der
Tendenz, den Verwaltungsbehörden eine Richtschnur bei der Be-
setzung gewisser Stellen zu geben. Durch welche Mittel lässt
sich erkennen, ob die eine oder andere Tendenz vorhanden war?
Die Grundsätze sind im Centralblatt für das Deutsche Reich
abgedruckt unter der Ueberschrift „Allgemeine Verwaltungs-
sachen*. Sie sind ferner nicht als ein Bundesratsbeschluss
bezeichnet, sondern es heisst in der Präambel: „Die verbündeten
Regierungen haben in den Sitzungen des Bundesrates den Grund-
sätzen, nebst Anlagen und Erläuterungen ihre Zustimmung er-
teilt.*13 Die Quelle, aus welcher die Grundsätze ihre Kraft her-
leiten, ist also die Zustimmung, der Wille der Regierungen der
12 Vgl. SELIGMANN, Begriff des Gesetzes S. 165f.
18 Ganz ebenso die neue Fassung der Grundsätze vom 25. Juli 1899.
Centralblatt 8. 268.