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den Rechtsanwälten und der überwiegenden Mehrzahl der Ge-
richte unzugänglich sind. Das Reichsgericht befindet sich
hier in einer Ausnahmestellung, welche es nur mit sehr wenigen
Behörden im Reichsgebiet teilt. Ob Vorschriften aber subjek-
tive Rechte und Rechtspflichten begründen oder bloss Dienst-
anweisungen sind, muss allgemein erkennbar sein. Man kann
doch die Rechtsprechung nicht darauf einrichten, dass die Par-
teien erst in der Revisionsinstanz erfahren, ob ein Rechtssatz
sanktioniert worden ist oder nicht, und dass die Gerichte der
unteren Instanzen bei ihren Entscheidungen im Dunkeln herum-
tappen und darauf angewiesen sind, zu erraten, ob sie in einer
Verordnung eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift vor sich
haben, bis die Erleuchtung, was von beidem der Fall ist, vom
Reichsgericht auf sie herunterfliesst. Und wenn selbst die Druck-
sachen des Bundesrats weniger geheimnisvoll behandelt würden
und auch den Land- und Amtsgerichten zugänglich wären, so
könnte man doch den Richtern im einzelnen Falle nicht zu-
muten, dieses überaus umfangreiche und wenig übersichtliche
Material durchzuarbeiten. Wenn in dem in Rede stehenden
Falle das Reichspostamt und das Kammergericht die entgegen-
gesetzte Ansicht wie das Reichsgericht hatten, so beweist dies
am besten, in welche Unsicherheit die Praxis der Verwaltungs-
behörden und der Gerichte durch den Mangel eines formellen
Kriteriums versetzt wird.
Für die Reichsgesetze im formellen Sinne besteht in posi-
tiver und negativer Richtung ein sicheres und leicht erkennbares
Erkennungszeichen der Verkündigung; sind sie im Reichsgesetz-
blatt abgedruckt, so sind sie gültig verkündigt und haben rechts-
verbindliche Kraft; sind sie daselbst nicht abgedruckt, so exi-
stieren sie für Gerichte, Verwaltungsbehörden und Unterthanen
nicht. Für die reichsrechtlichen Anordnungen ohne Gesetzes-
form besteht vollkommen das gleiche Bedürfnis; nach der An-
sicht des Reichsgerichts aber wird ihm nicht genügt; sie können