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Sobald man die Trennung der Gewalten und die dadurch er-
möglichte Nebeneinanderstellung aufgiebt, entsteht die Frage: wo
liegt der Schwerpunkt, in der Gesamtheit oder in den Gliedern ?
Man kann von der Gesamtheit ausgehen. Dann macht man
diese zum Oberstaat, dem die Glieder unterstellt sind, d. h.
zum eigentlichen Staat. Dass dabei den Gliedern noch so viel
gesicherte Selbständigkeit bewahrt bleiben kann, wie der poli-
tische Begriff des Bundesstaates erheischt, hat man auf das
amerikanische Vorbild hin meist unbedenklich bejaht. So selbst-
verständlich ist diese Verallgemeinerung aber keineswegs. Wir
werden auch hier genauer zusehen müssen’.
Man kann auch von den Gliedstaaten ausgehen. Dann er-
hält man statt des ÖOberstaates eine vertragsmässige V-er-
bindung. Hier ist dann umgekehrt die Frage, ob man der
den Unterthanen gegenüber zusammenwirken, also um das bundesstaatliche
Verwaltungsrecht, dann giebt allerdings nur die Formel der Trennung der
Gewalten die richtige Anschauung: Deutsches Verwaltungsrecht Bd. II S. 462 ff.
Das schliesst natürlich nicht aus, dass die Teilhaber an den getrennten Ge-
walten, unter sich genommen, ungleiche Rechtsstellung haben; wie trotz
der Trennung der Gewalten in der konstitutionellen Monarchie nur der Fürst
der Souverän ist, so im Bundesstaat entweder der Bund oder die Staaten.
” SEYDEL hat völlig recht, wenn er in seinen Vorträgen über Allgemeines
Staatsrecht $. 76 noch einmal seine juristischen Bedenken zusammenfasst
gegen die Staatennatur der Glieder eines solchen Bundesstaates und feststellt,
dass eine befriedigende Antwort auf seine Frage, wie denn das möglich sei,
nicht erfolgt ist. Juristisch ist es auch nicht möglich, dass wenn der Bund
Staat ist, auch die Glieder noch als Staaten anzusehen wären. Aber für
die politische Anschauung ist es denkbar; auch hier nur unter besonderen
Voraussetzungen, wie eben die Nordamerikanische Union uns den Beleg
liefern wird. Durch SevpELs ganze Lehre zieht sich, mit schroffer Ein-
seitigkeit festgehalten, der rein juristische Gesichtspunkt. Das ist etwas,
was nicht jeder im stande ist so durchzuführen. Aber in dieser grossen
Streitfrage, Bundesstaat und Staatenbund betreffend, muss man doch, um
die Gegner und um die üblichen Ausdrucksweisen zu würdigen, auch auf die
nicht juristische, auf die politische Anschauungsweise einzugehen vermögen.
SEYDELS Satz: es giebt gar keinen Bundesstaat (Zeitschr. f. Staatsw. Bd. XX VIII
S. 208), ist juristisch orthodox, aber er löst die Frage nicht, um die es sich
hier handelt,