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selbst eine Einstimmigkeit der Regierungen genügt nicht zur
Auflösung, Mehr kann auch der Oberstaat zur Sicherstellung
des Reichsbestandes nicht leisten.
Wir haben demnach jetzt das Ergebnis: mit allem Vor-
behalt, wie sich die Sachen im Einzelfall wirklich gemacht haben,
denkbar ist es, das, was der Bundesstaat politisch sein soll,
juristisch auf zweierlei Wegen gleichartig zu erreichen: in der
Form des Oberstaates wie in der des Staatenvertrages.
Gleichwertig für die politische Beurteilung; juristisch ist
natürlich der Gegensatz tiefgehend genug. Die wichtigsten
Bundesstaaten, an welchen unsere Lehre dargestellt zu werden
pflegt, sind alle hervorgegangen aus einer Vorstufe unzweifel-
hafter vertragsmässiger Vereinigung. Nehmen wir einmal an,
was ja juristisch möglich ist, es wäre in einer solchen die Bundes-
gewalt schon derartig stark entwickelt gewesen, dass man gar
nicht beabsichtigte, den neuen Oberstaat sachlich reicher aus-
zustatten, so würde gleichwohl mit dem Uebergang zu dieser
Form eine gewaltige Aenderung in der Rechtsstellung der ver-
bundenen Staaten sich vollziehen. Und zwar lässt sich alles mit
„Vertrag ist Vertrag und kann nicht Gesetz werden.“ Aber die durch
Vertrag Verbundenen können doch ihren Vertrag noch überdies unter die
Garantien einer dem Gesamtvolke gegebenen Verfassung stellen, die kein
Vertrag ist. Warum soll das nicht möglich sein? So gut es konstitutionelle
Monarchen giebt, kann es auch konstitutionelle Monarchenvereine geben,
und bei diesen kann dann diese eigentümliche Unlösbarkeit des Vereins
entstehen. Nach SEeYDELs Ausdrucksweise bliebe immer noch die Hinter-
thüre offen, dass ein bayerisches Verfassungsgesetz der Auflösung des Reiches
rechtsgültig die Genehmigung gäbe ohne den Reichstag: der Bruch der
„eigenen staatlichen Rechtsordnung“ bestünde dann nicht, auch wenn ein
vorausgehendes bayerisches Verfassungsgesetz gesagt hätte, die Auflösung solle
nur mit Zustimmung des Reichstages möglich sein. Diese Folgerung ist
unabweisbar. SeypEL will diese Hinterthüre selbst nicht; er will geradezu
eine Unauflöslichkeit für die Landesgesetzgebung. Aber im Ausdruck schont
er eben immer frühere Ansichten. Damit muss man rechnen. — Die poli-
tische Gleichwertigkeit von SEYDELs juristischer Konstruktion wird auch
von -LABAnD, Staatsrecht Bd. I S. 90 Note 2, offen anerkannt.