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eine Stimme, über deren Abgabe die Mehrheit seiner Delegierten
entscheidet. Die gesetzgebenden Körper behalten ihre Delegierten
fest in der Hand, indem sie das Recht haben, sie jeden Augen-
blick abzuberufen und durch andere zu ersetzen. In dieser Ge-
stalt ist der Kongress der deutlichste Ausdruck der Souveräne-
tät der Einzelstaaten ®°,
Die Befugnisse der Bundesgewalt erwiesen sich alsbald als
ungenügend, namentlich war die Union nicht mit Finanzquellen
ausgestattet. Die neue Verfassung vom 17. Sept. 1787 brachte
hier umfassende Erweiterungen; jetzt erst entstand eine volle
Bundesgesetzgebung, Bundesjustiz und Bundesverwaltung. Sie
brachte aber noch etwas anderes: sie erweckte einen neuen
Souverän. Wie das zuging, das ist ganz und gar nur verständ-
lich vom Boden der republikanischen Grundanschauungen
aus. Der Souverän eines jeden Einzelstaates ist danach niemand
anders als sein Volk, d. h. was dafür angesehen wird, die Ge-
samtheit seiner Bürger, citizens; die Verfassung trifft die Ein-
richtungen, um den Herrschaftswillen dieses Volkes zum Aus-
druck kommen zu lassen; nötigenfalls bricht er unmittelbar durch,
um sich Formen dafür neu zu gestalten; das geschieht in einer
convention, einer besonders dazu gewällten Versammlung '*.
Dieser republikanische Souverän nun hat eine Eigentümlichkeit,
welche ihm ein monarchischer nicht nachmachen kann: die Ad-
dition mehrerer republikanischer Souveräne ergiebt von
selbst einen neuen Souverän, der die alten verschlingt oder
nur so viel von ihnen übrig lässt, als ihm beliebt. Mit der Be-
wegung für Erweiterung der Bundesgewalt verband sich des-
halb sofort auch die Auffassung, dass diese wahrhaft staatsartig
° Die Aehnlichkeit zwischen diesem Kongress der staatenbundlichen
Periode und unserem alten Bundestag — aber auch mit unserem jetzigen
Bundesrat — ist unverkennbar.
% Constitutional convention: v. Horst, Saatsrecht der Vereinigten
Staaten $. 142 143; Bryce, American common wealth Bd. I Kap. II.