Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achtzehnter Band. (18)

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Aber der Bundesstaat ist ein politischer Begriff; für diesen 
genügt es, dass den Einzelstaaten thatsächlich Dasein und 
staatliche Wirksamkeit gewährleistet sei. Und das ist hier ge- 
währleistet durch die Natur des Souveräns selbst, dem sie unter- 
stehen. Hinter dem, was wir vorhin die republikanische Etikette 
nannten, steckt eine sehr bedeutsame mächtige Sache. Wo ein 
Volk von echter republikanischer Gesinnung erfüllt ist, da be- 
steht auch bei ihm ein ungemein zartes Gefühl für die Freiheit 
der Staatsgenossen, für ihr Recht, ihre Angelegenheiten selbst 
zu besorgen, für sich allein oder in grösseren Gemeinschaften, 
welche sie wieder bilden mögen. Namentlich geschichtlich her- 
gebrachten eingewurzelten Gemeinschaften, wie die Unionsstaaten 
zumeist sind, kommt das zu gute. TREITSCHKE hat die Wichtig- 
keit dieser Gesinnung sehr gut hervorgehoben; er nennt sie das 
„eidgenössische Rechtsgefühl“ und ist der Meinung, dass ohne 
dieses ein Bundesstaat überhaupt nicht bestehen könne °®?, 
Diese innere Gebundenheit der Unionsgewalt findet ihren 
Ausdruck in einer juristischen Formel, die auch wieder ganz und 
gar nur dem republikanischen Ideenkreise angehört. Der Herr 
über alles, das Gesamtvolk der Union, erscheint nur ausnahms- 
weise in seiner ganzen Herrlichkeit auf dem Plan, dann nament- 
lich, wenn es gilt, grosse Entscheidungen zu treffen und eine 
neue Ordnung der Dinge durchzuführen. Er ist, wie die Fran- 
zosen sagen, das pouvoir constituant, das ordentlicherweise die 
pouvoirs constitues machen lässt unter seiner dabei vorbehaltenen, 
auf die Wahlen beschränkten Mitwirkung. Diese bestellten Ge- 
walten sind die in der Unionsverfassung bezeichneten. Es gilt 
aber ebenso als der Wille des Unionsvolkes, dass die geordneten 
Gewalten der Staaten der Bundesgewalt gegenüber der Haupt- 
unterscheiden sollte, dass der souveräne Wille dieses neu abgegrenzten 
Gesamtvolkes die Sklaverei zuliess. 
23 TREITSCHKE, Bundesstaat und Einheitsstaat, hist. und pol. Aufsätze 
Bd. II S. 157 159 169 233.
	        
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