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welchem Respekt die Existenz der Einzelstaaten behandelt wurde,
das lassen die Verhandlungen des Frankfurter Parlaments deut-
lich erkennen. Es regnete gelegentlich Anträge auf Unter-
drückung von Einzelstaaten. „In Erwägung, dass die Not-
wendigkeit der Mediatisierung der kleinen Staaten im deutschen
Volke allgemein gefühlt wird u. s. w.“ oder wie dergleichen sonst
begründet wurde. Ein Antrag DEmeEL lautete: „Alle deutschen
Einzelstaaten, deren Bewohnerzahl geringer ist als sechs Mil-
lionen, sind mediatisiert.*“ Und der Berichterstatter MITTERMEIER
bemerkt dazu begütigend: „Es sind Vorschläge gemacht worden,
die sich auf die Mediatisierung beziehen. Vorerst meine Herren,
wissen Sie, das ist eine offene Frage®!.“
Einen Bundesstaat hätte das nie gegeben. Juristisch war
es eine konstitutionelle Monarchie mit viel Selbstverwaltung. Poli-
tisch eine halbe Republik mit auf den Aussterbeetat gesetzten
Ueberresten früherer staatlicher Selbständigkeit. —
Eines ganz anderen Geistes Kinder sind die Verfassungen
des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches. Sie
tragen den Stempel des grossen Staatsmannes, dessen persön-
liches Werk sie sind. Der Gedankenreichtum und der ideale
Schwung, in welchem die Paulskirche sich erschöpfte, fehlen hier
wahrlich nicht. Aber sie umspielen nur verschönend und helfend
die urwüchsige Kraft, die aus der Wirklichkeit der Dinge heraus
das Nützliche und Notwendige und nur dieses erstehen lässt in
sieghafter Freiheit des Schaffens. Hört hier der amerikanische
Bundesstaat auf, als Zwangsvorstellung zu wirken, so nötigt auch
nicht mehr die Scheu vor den verhasst gewordenen bisherigen
Bundeseinrichtungen,, äusserlich möglichst weit von ihnen ab-
zurücken. BISMARCK, der sie doch in ihrer ganzen Jämmerlich-
keit kennen gelernt hatte, wagt es, guten Gewissens, Zusammen-
mm
31 Wıeanp, Verhandlungen der Nationalversammlung Bd. IV 8. 2970 ff.
(Sitzungen vom 30. und 31. Okt. 1848).