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Es ist nicht schmeichelhaft für unsere staatsrechtliche Litte-
ratur, dass es ihr so wenig gelungen ist, beim Auslande den
Eindruck charaktervoller Eigenart hervorzubringen. Dieses sieht
uns auf der Suche nach einem selbständigen Reichssouverän, den
wir aber niemanden einleuchtend zu machen wissen. Da kommt
es uns denn zu Hülfe und leiht uns den seinigen. Gar manche
von unseren halbverdeckten und gewundenen Formulierungen geben
ihm Anlass genug zu glauben, dass wir den eigentlich auch im
Sinn haben und nur nicht recht wagen, ihn geradeheraus zu
nennen: es ist der nach seiner Meinung stets bereite republi-
kanische Gesamtsouverän. Germania trägt aber nun einmal keine
phrygische Mütze, sondern sie trägt einen Kranz von Kronen
im Haar. Müssen wir ihr immer wieder sagen lassen: es sei
doch eine phrygische Mütze, nur leider eine recht missgestaltete?
Es giebt für unsere Staatslehre kein Heil, als freies offenes Be-
kenntnis zu dem, was wir sind, und dass wir anders sind als die
anderen, unter Verzicht auf alle Zweideutigkeiten. Den fremden
Schriftstellern selbst ist es nicht entgangen, dass sich gar manches,
so wie es bei uns ist, aus dem fortdauernden Bundesverhältnisse
einfacher und widerspruchsloser erklären würde, und sie tadeln
uns darum. Aber es handelt sich nicht bloss um solche Einzel-
heiten, sondern um eine falsche juristische Grundauffassung, die
wir uns aufdrängen lassen und mit der alles schief wird. Hat
man nicht allen Ernstes die Behauptung aufgestellt, juristisch
seı das Reich als Schöpfer der Gliedstaaten anzusehen! Hat man
nicht mit der Möglichkeit gespielt, diese einfach wegdekretieren zu
lassen, wobei Meinungsverschiedenheit herrscht, ob sie nur alle
zusammen oder auch einzeln verspeist werden können! In der
Praxis glaubt uns das kein Mensch. Denn die nüchterne Wirk-
lichkeit ist und bleibt, dass die Staaten im Gegenteil das Reich
um ihrer selbst willen geschaffen haben und dass es vor allem
auch bestimmt ist, die Form zu geben, um Preussen die Führer-
schaft, allen Mitgliedern aber ihr Sonderdasein in berechtigtem
Archiv für öffentliches Recht. XVII. 3. 25