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Masse zu sichern; dafür verschliesst eben das amerikanische
Schema das Verständnis.
Bis tief in das Unjuristische hinein, das hinter allem Staat-
lichen liegt, erstreckt sich dieser (fegensatz. MONTESQUIEU hat
in seinem Geist der Gesetze ein überaus feines Kapitel: des
principes des gouvernements®?®, Jeder Staatsform entspricht
danach eine bestimmte Art von Gesinnung der Menschen, die
ihr Prinzip, ibre Lebenskraft ausmacht; sowie sie beginnt zu
verschwinden, ist auch der Untergang der Staatsform nahe; bei
der Demokratie ist es la vertu, die strenge Zucht aller, bei der
Monarchie dagegen l’honneur, die Ehrsucht der herrschenden
Stände: Tugend haben hier die anderen Bürger auch nötig, la
loi vous en dispense, es genügt, dem Gesetze zu gehorchen.
Auch hinter den Rechtsformen des Bundesstaates stehen solche
unantastbare Hüterinnen. Für den republikanischen Bundes-
staat hat sie TREITSCHKE schön und treffend bezeichnet in dem,
was er den „eidgenössischen Rechtssinn®* nennt. BisMARcK, der
für solche Dinge wohl noch ein sichereres Gefühl hatte, sagt uns,
was für den monarchischen Bundesstaat dem entspricht; wieder-
holt und eindringlich mahnt er an dessen oberstes Lebensprinzip:
„Das Reich“, sind seine Worte, „hat die feste Basis in der Bundes-
treue der Fürsten®?.“ Insbesondere: „Die Basis soll das Ver-
trauen zu der Vertragstreue Preussens sein und diese Basis darf
nicht erschüttert werden, solange man uns die Vertragstreue
hält®®.“ Sollte man da noch glauben dürfen, etwas Gutes zu
stiften, wenn man immer wieder die Predigt ergehen lässt: ihr
habt keinen Vertrag, ihr seid keine Bundesgenossen, ihr seid die
Substrate einer juristischen Person, deren Gesetz euch von der
Tugend der Vertragstreue entbindet. Und doch geschieht’s, und
geschieht in bester Absicht und treuester Meinung fürs Reich.
5: De l’esprit des lois, livre III.
53 Ansprache an den Bundesrat am 1. April 1885.
64 Reichstagsrede 11. März 1867.