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Ist die Staatslehre BLuntschLis ein letzter Ausläufer der
alten liberal konstitutionellen Theorie, so spiegelt sie auch zu-
gleich das Schicksal dieser Richtung im praktisch politischen
Leben wider. Scheinbar, in den äusseren Formen, war sie ja
siegreich; aber es war ein Sieg von eigener Art, der die Kraft
des Siegers brach; in den altbekannten Formen lebte ein fremd-
artiger Geist, mit dem man sich wohl oder übel abfinden musste;
und so hat die alte Theorie ihre ganze Schlagkraft verloren,
sie schleicht dahin, müde wie die Fliege im November.
Auf der anderen Seite bedeutet die Lehre SEYDELs und
seiner Richtung einen Versuch, den alten Wein der absolutisti-
schen Staatstheorie in neue Schläuche zu füllen, aus einer Partei-
doktrin, deren Kern die Negation der Rechtsform des modernen
Staatslebens war, eine juristische Konstruktion eben dieser Rechts-
form zu machen; ein an sich unmöglicher Versuch.
Einen wesentlich anderen Typus stellen die drei Werke von
REHM, JELLINEK und SCHMIDT dar. So sehr sie sich auch in
der Stellung und Behandlung ihrer Probleme, in der ganzen An-
lage wie im Resultat voneinander unterscheiden, gemeinsam ist
ihnen jedenfalls die Tendenz der politischen Tendenzlosigkeit.
Sie sind nicht vergeblich durch die treffliche Schule des staats-
rechtlichen Positivismus hindurchgegangen; seine Methode ist es,
die sie mehr oder minder bewusst auf die allgemeine Staatslehre
projizieren. Insonderheit erstreben sie gleich ihm die Unabhängig-
keit von der politischen Parteidoktrin. Freilich, da ihre Ver-
fasser nicht in politisch luftleerem Raume leben, macht sich auch
in ihren Werken der Einfluss der politischen Lebensluft mannig-
fach geltend, teils mit Wissen und Willen der Verfasser, teils
auch ihnen unbewusst. Immerhin stellen diese Werke in der
That einen wesentlich anderen Typus dar als die älteren staats-
theoretischen Parteidoktrinen. Sie sind das theoretische Gegen-
stück eines praktischen Staatszustandes, der von politischen
Parteien zwar erheblich beeinflusst, aber nicht von einer Parteı