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Vormundschaft infolge ihrer Einreihung in das Bürgerliche Gesetz-
buchformellnach dem Titelworte als bürgerliche Sache zu gelten hat.
Allein der Titel ist für die wissenschaftliche Erforschung des gesetz-
lichen Inhalts um so mehr bedeutungslos, als die praktische Hand-
habung und der positive Inhalt des neuen Reichs- und Landes-
rechtes klar die öffentlichrechtliche Qualität der neuen Rechts-
bildungen erkennen lassen, sowie die Durchführung dieses
Charakters in wissenschaftlicher und positivrechtlicher Hin-
sicht auch mit den Motiven des neuen Rechtes im Einklange steht.
Man nimmt zunächst vielfach als selbstverständlich an, dass
Art.55 E.-G.z.B.G.-B. eine positive Scheidung desbürgerlichen
und Öffentlichen Rechtes gebracht habe. Noch jüngst hat STIER-
SOMLO® u. a. bemerkt: „Die Scheidung zwischen privatem und
öffentlichem Recht ist eine grundsätzliche und muss so bleiben;
sie muss in Zukunft so scharf durchgeführt werden,
wie es irgend geht. Eine der wichtigsten Folgerungen hiervon
ist u. a. die, der wir die Natur eines grundlegenden Satzes vin-
dizieren, dass die privatrechtlichen in das öffentliche Recht auf-
genommenen Bestandteile nur insoweit Geltung haben, als dies
das öffentliche Recht zulässt;....“ Dieser im Interesse der zu-
künftigen und gegenwärtigen Einheit und Sicherheit des Rechtes
nur freudig zu begrüssenden Forderung würde der Verfasser
gerne zustimmen, wenn die Behauptung der positiven Scheidung
rıchtig wäre. Letztere ist in der That nicht vorhanden, wie
folgende Erwägungen ergeben.
Die Vertreter der herrschenden Anschauung beziehen sich
zunächst auf die Motive des Art. 55 E.-G., wonach Gegenstand
der Kodifikation das bürgerliche Recht ist. Allein dieselben
° Die Einwirkung des bürgerlichen Rechts auf das preuss. deutsche Ver-
waltungsrecht, Berlin 1900 bei Guttentag, Lieferung 1 S. 68. — Verfasser
bringt eine umfassende, gründliche und durch klares Urteil ausgezeichnete
Darstellung über den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen, die Grenz-
ziehung betreffenden Forschung.