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Motive bestätigen alsbald die Grenzüberschreitung durch die
Anerkennung der Aufnahme von Vorschriften eines fremden
Rechtszweiges und machen im Gebiete der Vormundschaft STIER-
SoMLOs Folgerung zum ersten Auslegungsprinzip für die
öffentlichrechtliche Natur sämtlicher vormundschaftlichen
Vorschriften, indem sie im Falle der Kollision privatrechtlicher
Akte mit vormundschaftlichen Vorschriften private Anordnungen
als Eingriffe in das öffentliche Recht nur im Falle positiver
(restattung zulassen. (Gewährt hiernach der Standpunkt der
Motive eine beide Rechtsgebiete deckende Auffassung, so ist zu
prüfen: Liegt nicht in dem Wortlaute, der Bedeutung und dem
Zweck der Art. 55 E.-G. die gesetzliche Charakterisierung einer
privatrechtlichen Kodifikation, so dass der Platz zugleich den
Charakter bestimmt ?
Zunächst ist zu beachten, dass die Worte der Motive des
Art. 55: „Die Vorschrift des Artikels erstreckt und beschränkt
sich auf das materielle Landesprivatrecht“ noch nicht ein-
mal für das Jahr 1888, der Zeit ihrer Veröffentlichung, unein-
geschränkte Bedeutung für die Vormundschaft haben. Hatte
doch der mit dem formellen Rechte in engster Berührung
stehende rechtspolizeiliche Charakter der Materie schon im ersten
Entwurf die Aufnahme einer grossen Anzahl reiner Ordnungs-
vorschriften aus Zweckmässigkeitsrücksichten zugelassen, auch
reine Verfahrensvorschriften im Zusammenhange mit dem ma-
teriellen Recht nach den Mot. IV S. 1008 einbezogen. Und
während die erste Kommission für die Ausarbeitung des Bürger-
lichen Gesetzbuches erhebliche Bedenken äusserte, behördliche
Verfahrensvorschriften im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit
als „bürgerliches“ Recht nach der Reichsverfassung zu normieren ®,
setzte man sich schliesslich über die Zweifel mit der praktischen
6 Siehe den Bericht von Präsident Dr. Pape zum Entwurf 1. Lesung vom
27. Dez. 1887, abgedruckt bei ALEXANDER Katz, Erläut. Anmerkungen,
Berlin 1888, 1. Bd. S. 14 ff.