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Vorstehender Ueberblick lässt neben der vielgestaltigen
Bildung vormundschaftlicher Vorschriften des Landesrechtes
leider auch eine bestimmte Gefahr für die Einheit des neuen
Rechtes erkennen. So müssen insbesondere bei dem obervor-
mundschaftlichen Vollstreckungsrechte nicht wenige Fälle infolge
der ungenügenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches
auf dem Wege einer verfassungsmässig kaum zulässigen,
selbständigen, landesrechtlichen Auslegung des Bürger-
lichen Gesetzbuches behandelt werden; auch ist die Grenz-
ziehung zwischen Reichs- und Landesrecht positivrechtlich bei
dem verschiedenartigen Charakter der vormundschaftlichen Be-
stimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches um so weniger möglich
gewesen, als gerade in der Vormundschaft schon seither kaum
formelles und materielles Recht auseinander gehalten werden
konnte. Einer zu weit gehenden Heranziehung des Landesrechtes
in die Einheit des Bürgerlichen Gesetzbuches kann wohl in der
Mehrzahl der Fälle durch die Erwägung begegnet werden, dass
das Reichsrecht in der Bestimmung des Bürgerlichen Rechtes
souverän und dem Landesrecht der Platz verschlossen sei.
Immerhin wird nach den Ergebnissen dieser Untersuchungen in
Fragen von weitgehendster Bedeutung der öffentlichrechtliche
Charakter einzelner Vorschriften entscheidend sein und so auch
im gewissen Umfange nach wie vor dem Landesrecht eine Ent-
wicklung gestatten. Nicht nur im Sinne wissenschaftlicher
Analyse, auch für die praktische positive Rechtsanwendung
bestätigen bedeutsame Folgen der eingeführten Rechtsneuerungen
den öffentlichen Charakter der neuen Vormundschaft. So waren
es seither auch vorzugsweise Praktiker, welche zumeist in Rück-
sicht auf die Erscheinungen im Rechtsleben die Annahme öffent-
lichen Rechtes innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches her-
vorhoben und die Zulässigkeit dieser Auffassung vertraten".
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.__ "Siehe Das Recht, IV. Jahrg. No. 19 8. 406, ferner: SchErp, Das
öffentl. Recht im B. G.-B., Freiburg bei Mohr 1899; die Verhandlungen