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ränetät sei. Er geht von der Annahme aus, die Souveränetät könne nur
einheitlich sein. Dann aber ist entweder die Union, der Gesamtstaat,
souverän, oder die Einzelstaaten sind es! Er folgert aus der Geschichte
der Entstehung der Union und aus dem Wortlaut der Verfassung, dass die
Souveränetät bei den Einzelstaaten sei, eine Meinung, die in Deutschland
Max v. SEYDEL vertreten hat. Natürlich beruht dann der Bundesstaat nur
auf einem völkerrechtlichen Vertrag, der bei seiner Verletzung seitens des
einen Teils von dem andern gelöst werden kann. Wann eine solche Ver-
letzung eingetreten ist, darüber kann, weil kein höherer Richter vorhanden
ist — der Supreme Court wird als solcher nicht anerkannt — eben nur der
geschädigte Teil, also der Einzelstaat, entscheiden, der also das Recht der
Sezession hat. Diese Theorie hat schliesslich dazu geführt, dass sich 1861
die Konföderation der Südstaaten bildete. Nachdem aber die Südstaaten
besiegt waren, gilt als herrschende Ansicht, dass nur durch Revolution die
Union gesprengt werden könne! CarHouns Theorie ist übrigens auch in die
Verfassung der Vereinigten Staaten von Columbia vom 8. Mai 1863 über-
nommen worden. Hier wird ausdrücklich die Souveränetät der Einzelstaaten
anerkannt und ihnen sogar ein Recht der Widersetzlichkeit zugestanden.
Davon hat jüngst Panama Gebrauch gemacht, obwohl seit 1886 Kolumbien
ein Einheitsstaat ist und Panama nur noch als Departement, nicht als Staat
gilt. Indes hat sich bekanntlich die Regierung der Vereinigten Staaten
beeilt, Panama als unabhängig auf Grund desselben Rechtes, das die Union
in der Anwendung auf sich verwirft, anzuerkennen! Und das ist der Humor
davon. Die Arbeit E.s ist, soweit es sich um die Darstellung der Lehre
Carnouns handelt, sorgfältig, dagegen beruhen die geschichtlichen und
Juristischen Ausführungen des Verf. doch auf zu unzureichendem Material,
um ins Gewicht zu fallen.
Dr. Gottfried Koch.
Professor Ernst Nys, Vizepräsident des Amtsgerichts in Brüssel, Etudes
de droit international et de droit politique. — Zweite Reihe.
— Castaigne, Brüssel und Paris (Fontemoing), 1901. 8°. 340 S.
Der in Fachkreisen wohlbekannte gelehrte Verf. hat in diesem Buche
eine zweite Reihe (die erste erschien 1896) seiner an verschiedenen Stellen
veröffentlichten Abhandlungen gesammelt, deren fachlicher Wert, innere Ge-
schlossenheit aus der Uebersicht der Sammlung erst voll erkannt werden kann.
Die mannigfachen, auf einem umfassenden wissenschaftlichen Apparate
aufgebauten Studien durchzieht ein echt moderner Geist und das ernste
Streben, dem Problem der Freiheit prüfend nachzugehen auf dem Gebiete
des internationalen Rechts wie auf demjenigen des Staatsrechts.
Die in diesem Buch gesammelten Abhandlungen beziehen sich erstens
auf: „Le concert europeen et la notion du droit international* (S. 1—46).