Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunzehnter Band. (19)

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unbedingten Wahrung der staatlichen Integrität, den man im Völkerrecht 
unzutreffend als „Recht der Selbsterhaltung“* unter die sog. Grundrechte 
stellt, beherrscht die gesamten Vorschriften des $ 4 Abs. 2 StGB und er- 
klärt das Hinausgreifen des Staates über sein Gebiet. Solange der Staat 
das Strafrecht nur zur Aufrechterhaltung seiner Rechtsordnung braucht, be- 
darf es naturgemäss eines Hinausgehens über das eigene Gebiet nicht; dies 
wird aber sofort notwendig, sobald der Staat in die Notlage versetzt wird, 
sich gegen Angriffe von aussen her schützen zu müssen. Mittel zur Abwehr 
solcher Angriffe, sobald sie durch andere Staaten erfoigen, bieten dem An- 
gegriffenen das Staats- und das Völkerrecht; da der einzelne als Rechts- 
subjekt auf diesen Rechtsgebieten nicht in Frage kommt, bleibt dem Staate in 
solchen Fällen nur das Mittel des eigenen Strafrechtes, um seine Integrität 
zu wahren. Dieser gemeinsame Gedanke liegt den sämtlichen Ausnahme- 
bestimmungen des $ 4 Abs. 2 StGB zu Grunde, insbesondere auch dem in 
Ziff. 3 a. a. OÖ. zum Ausdrucke gebrachten Gesichtspunkte, dass der Staat 
sich nicht dazu erniedrigen darf, verbrecherischen Staatsangehörigen ein Asyl 
zu gewähren, indem er sie im Inlande straflos lässt (England!). Ausserdem 
gehören hierher die Vorschriften des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juni 1884 
(vgl. die Bezugnahme auf $ 4 Abs. 2 Ziff. 1 StGB in $ 12 das.), vor allem 
aber die Bestimmungen des Gesetzes über den Verrat militärischer Geheim- 
nisse vom 2. Juli 1893 und die von dem Verf. angezogene Bestimmung des 
8 140 No. 1 StGB. Ferner ist die Vorschrift des $ 102 a. a. O. hierzu zu 
rechnen, die gleichfalls speziell auf der völkerrechtlichen Grundlage ruht, 
dass der Staat für Delikte seiner Untertanen gegen andere Staaten einstehen 
muss, und die Verantwortung hierfür nicht mit der Erklärung ablehnen kann, 
dass ihm die erforderliche Strafvorschrift fehle. 
Alle diese Vorschriften bilden eine grosse Gruppe für sich und können 
als Ausnahmen von dem Territorialprinzip insofern nicht bezeichnet werden, 
als sie sich nicht mit dem strafbaren Vorgehen des einen gegen den andern 
innerhalb des einzelnen Staates beschäftigen, sondern mit strafbaren Hand- 
lungen einzelner gegen die Gesamtheit, den Staat. Daraus ergibt sich schon 
von selbst die Unmöglichkeit der Anwendung des Territorialprinzips auf 
diese Fälle; ebensowenig können sie aber als „Ausnahmen“ davon bezeichnet 
werden, denn tatsächlich ist ihre juristische Grundlage eine ganz andere als 
die der übrigen Delikte. Hätte der Verf. dieses erkannt, so würde es ihm 
wohl gelungen sein, alle diese Bestimmungen als geschlossene Gruppe zu- 
sammen- und dem Territorialprinzip gegenüberzustellen. Er wäre dann auch 
wohl nicht auf den Fehler verfallen, die Ausnahmestellung des Hochverrats 
im Strafgesetzbuch als einen Ausfluss des von ihm zuvor abgelehnten, und mit 
Recht abgelehnten „Schutzprinzipes“ anzusehen. 
Die besondere Stellung der ganzen Gruppe von Delikten im Strafrecht, 
deren Objekt direkt oder indirekt der Staat ist, ergibt dann auch mit Not- 
wendigkeit die Vorschriften des Strafgesetzbuches, wie wir sie in $ 4 in der
	        
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