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unbedingten Wahrung der staatlichen Integrität, den man im Völkerrecht
unzutreffend als „Recht der Selbsterhaltung“* unter die sog. Grundrechte
stellt, beherrscht die gesamten Vorschriften des $ 4 Abs. 2 StGB und er-
klärt das Hinausgreifen des Staates über sein Gebiet. Solange der Staat
das Strafrecht nur zur Aufrechterhaltung seiner Rechtsordnung braucht, be-
darf es naturgemäss eines Hinausgehens über das eigene Gebiet nicht; dies
wird aber sofort notwendig, sobald der Staat in die Notlage versetzt wird,
sich gegen Angriffe von aussen her schützen zu müssen. Mittel zur Abwehr
solcher Angriffe, sobald sie durch andere Staaten erfoigen, bieten dem An-
gegriffenen das Staats- und das Völkerrecht; da der einzelne als Rechts-
subjekt auf diesen Rechtsgebieten nicht in Frage kommt, bleibt dem Staate in
solchen Fällen nur das Mittel des eigenen Strafrechtes, um seine Integrität
zu wahren. Dieser gemeinsame Gedanke liegt den sämtlichen Ausnahme-
bestimmungen des $ 4 Abs. 2 StGB zu Grunde, insbesondere auch dem in
Ziff. 3 a. a. OÖ. zum Ausdrucke gebrachten Gesichtspunkte, dass der Staat
sich nicht dazu erniedrigen darf, verbrecherischen Staatsangehörigen ein Asyl
zu gewähren, indem er sie im Inlande straflos lässt (England!). Ausserdem
gehören hierher die Vorschriften des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juni 1884
(vgl. die Bezugnahme auf $ 4 Abs. 2 Ziff. 1 StGB in $ 12 das.), vor allem
aber die Bestimmungen des Gesetzes über den Verrat militärischer Geheim-
nisse vom 2. Juli 1893 und die von dem Verf. angezogene Bestimmung des
8 140 No. 1 StGB. Ferner ist die Vorschrift des $ 102 a. a. O. hierzu zu
rechnen, die gleichfalls speziell auf der völkerrechtlichen Grundlage ruht,
dass der Staat für Delikte seiner Untertanen gegen andere Staaten einstehen
muss, und die Verantwortung hierfür nicht mit der Erklärung ablehnen kann,
dass ihm die erforderliche Strafvorschrift fehle.
Alle diese Vorschriften bilden eine grosse Gruppe für sich und können
als Ausnahmen von dem Territorialprinzip insofern nicht bezeichnet werden,
als sie sich nicht mit dem strafbaren Vorgehen des einen gegen den andern
innerhalb des einzelnen Staates beschäftigen, sondern mit strafbaren Hand-
lungen einzelner gegen die Gesamtheit, den Staat. Daraus ergibt sich schon
von selbst die Unmöglichkeit der Anwendung des Territorialprinzips auf
diese Fälle; ebensowenig können sie aber als „Ausnahmen“ davon bezeichnet
werden, denn tatsächlich ist ihre juristische Grundlage eine ganz andere als
die der übrigen Delikte. Hätte der Verf. dieses erkannt, so würde es ihm
wohl gelungen sein, alle diese Bestimmungen als geschlossene Gruppe zu-
sammen- und dem Territorialprinzip gegenüberzustellen. Er wäre dann auch
wohl nicht auf den Fehler verfallen, die Ausnahmestellung des Hochverrats
im Strafgesetzbuch als einen Ausfluss des von ihm zuvor abgelehnten, und mit
Recht abgelehnten „Schutzprinzipes“ anzusehen.
Die besondere Stellung der ganzen Gruppe von Delikten im Strafrecht,
deren Objekt direkt oder indirekt der Staat ist, ergibt dann auch mit Not-
wendigkeit die Vorschriften des Strafgesetzbuches, wie wir sie in $ 4 in der