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Nun lautet der Art. 109 anscheinend ganz allgemein: „Die
Schiffahrt auf den internationalen Flüssen soll vollständig frei
sein und niemandem untersagt werden können.“ Man sagt, dass
die Sprache der Diplomatie bestimmt ist, den Gedanken zu ver-
bergen, und für diese Behauptung kann man in dem Art. 109
eine Bestätigung finden. Nach den Verhandlungen der Konferenz
kann es einem begründeten Zweifel nicht unterliegen, dass in der
Kongressakte nur den Angehörigen der Uferstaaten die Freiheit
der Schiffahrt auf den internationalen Flüssen hat gewährleistet
werden sollen. Der dem Anschein nach weiter gehende Aus-
druck ist wohl nur gewählt, um es zu vertuschen, dass man von
dem liberalen Grundsatz des Pariser Friedens hat abgehen wollen.
In der zweiten Konferenz der Schiffahrtskommission vom 8. Febr.
1815 machte der englische Bevollmächtigte, Lord ULANCARTY,
den Vorschlag, in die Akte die Bestimmung aufzunehmen, dass
der Rhein für die Schiffahrt und den Handel aller Nationen
gänzlich frei sein solle. Dieser Vorschlag wurde dem Prinzipe
nach angenommen; später beantragte aber der preussische Bevoll-
mächtigte W. v. HumBOoLDT einzuschieben: „in Beziehung auf
den Handel (quant au commerce).“ Diese Fassung wurde an-
genommen. Dem Lord CLANCARTY schien selbige verdächtig; er
glaubte hierin eine Beschränkung der Bestimmungen des Pariser
Friedens über die Freiheit der Schiffahrt auf den internationalen
Flüssen zu finden. Auf seine desfallsige Bemerkung wurde ihm
in der siebten Konferenz vom 3. März 1815 erwidert: „Es liegt kein
Anlass vor, die von Herrn v. HumBoLDT vorgeschlagene Fassung
abzuändern, da sie von den Bestimmungen des Pariser Vertrages
nicht abzuweichen scheint; dieser Vertrag bezweckte nur, die
Schiffahrt von den Hemmnissen zu befreien, dıe ein Konflikt
unter den Uferstaaten hervorrufen könne, nicht aber den Unter-
tanen aller Staaten, die nicht zu den Uferstaaten gehören, ein
gleiches Recht zur Betreibung der Schiffahrt wie denjenigen der
Uferstaaten zu gewähren; für eine solche Ausdehnung würde es