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viel dazu bei, dem Leser einen Ueberblick über den eigenartigen Entwick-
lungsgang dieses Landes zu geben. Durch das völkerrechtswidrige Vor-
gehen Englands ist diese Entwicklung seit 1882 zum Stillstand gekommen.
Zutreffend betont der Verf. — was hier gleich vorweg genommen werden
mag —, dass das Verhältnis Englands zu Aegypten bis zum heutigen Tage
jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt und ein rein tatsächliches ist, soweit.
nicht der von England eroberte Sudan in Frage kommt. Für die staats-
rechtliche Stellung des letzteren zu England zieht der Verf. die Kon-
vention vom 19. Jan. 1899 heran, deren Gültigkeit er allerdings, und mit
Recht, deshalb in Frage stellt, weil Aegypten zum Abschlusse eines der-
artigen Vertrages völkerrechtlich nicht befugt war. Das ist zweifellos; allein
meines Erachtens kommt es auf die Rechtsgültigkeit der wohl vorwiegend
aus politischen Motiven abgeschlossenen Konvention nicht weiter an; der
Sudan ist von England erobert, und auf diesem völkerrechtlichen Titel der
Eroberung, der debellatio, beruht es, dass er heute in seinem ganzen Um-
fange als englisches Gebiet anerkannt werden muss. Der Rechtsgrund der
debellatio bedarf eines Ersatzes durch eine vertragsmässige Abmachung nach
deın Friedensschlusse nicht; auf die Gültigkeit oder Ungültigkeit der er-
wähnten Konvention wird daher Gewicht nicht weiter zu legen sein. Tat-
sächlich zieht ja England auch aus seiner Eroberung die weitgehendsten
Konsequenzen; der Begriff des „condominium“, das der Verf. hinsichtlich
des Sudan als zwischen England und Aegypten bestehend annimmt, ist über-
haupt in hohem Grade anfechtbar, und schon der Inhalt der Konvention,
namentlich der Art. 4, 5, 9 und 11, spricht viel mehr gegen, als für das
Bestehen eines derartigen Zustandes.
Den dogmatischen Teil seiner Arbeit zerlegt der Verf. in vier
grössere Abschnitte, in denen er die Grundlagen der staatsrechtlichen Stellung
Aegyptens, den Inhalt der Firmane, den Einfluss der völkerrechtlichen Be-
ziehungen Aegyptens auf seine Rechtsstellung und endlich die rechtliche
Klassifizierung des ägyptischen Gemeinwesens bespricht. Systematisch rich-
tiger wäre es vielleicht gewesen, dem ersten Abschnitte gleich den vierten
folgen zu lassen, da sich der Inhalt des letzteren unmittelbar aus dem des
ersteren als Konsequenz ergibt.
Zu den interessantesten Teilen der Abhandlung gehören ohne Zweifel
die Ausführungen über die gemischten Gerichte, über die Staatsschulden-
kasse und der Abschnitt über die staatsrechtliche Stellung Aegyptens. Die
Streitfrage über die rechtliche Natur der ägyptischen Gerichte entscheidet
der Verf. in scharfer Beweisführung dahin, dass sie nicht, wie vielfach
behauptet wird, „internationale“ Gerichte sind, sondern reine ägyptische
Landesgerichte, an deren staatsrechtlichem Charakter auch die eigenartige
Mitwirkung europäischer Staaten bei der Besetzung der Richterstellen nichts
ändert. Die Darlegungen über die staatsrechtliche Stellung Aegyptens sind,
wie dies vom Verf. auch ausdrücklich betont wird, im wesentlichen nur eine