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organen, zu Trägern staatlicher Funktionen. Die Verfassungseinrichtungen
dieser Zeit, welche der Verf. mit ausserordentlicher Anschaulichkeit und Ge-
nauigkeit vorträgt, erscheinen als die Vorstufe des modernen organischen
konstitutionellen Staates.
Diese Inhaltsangabe, die freilich nur eine ganz summarische ist und
keine richtige Vorstellung von der Fülle des vom Verf. gebotenen Stofis
gibt, beweist, dass das Werk eine hochbedeutsame wissenschaftliche Leistung
ist, durch welche Tımox für die ungarische Rechtsgeschichte sich ein Ver-
dienst erworben hat, welches demjenigen EıcaHorns für die deutsche Rechts-
geschichte zur Seite gestellt werden kann. Der ausserordentliche Beifall
aber, den es in Ungarn gefunden hat, beruht wohl nicht allein auf seinem
wissenschaftlichen Wert, sondern auch auf der Befriedigung des National-
stolzes, welche es gewährt. Der Verf. weist immer und immer wieder
darauf hin, dass die ungarische Nation eine besondere rechtsschöpferische
Begabung habe, dass das ungarische Recht nicht von fremden Völkern ent-
lehnt, wenngleich von fremden Rechten beeinflusst worden sei, dass es viel-
mehr aus dem nationalen Rechtsbewusstsein, dem Gerechtigkeitsgefühl und
dem Freiheitssinn der Nation entstanden, in eigentümlichen Formen aus-
gebildet worden sei und dass es in vielen Beziehungen vor dem Recht der
westeuropäischen Staaten sich auszeichne und in der Entwicklung freiheit-
licher Institutionen ihnen vorausgehe. Namentlich sei die Ausbildung eines
wahrhaft öffentlichen, dem Staatsgedanken entsprechenden Rechts nicht durch
das Eindringen lehnrechtlicher Institutionen verhindert oder erschwert worden.
Mir scheint es, dass der Verf. die Originalität des ungarischen Rechts etwas
überschätzt. Wenn man von äusserlichen Formen und namentlich Bezeich-
nungen und Ausdrücken absieht, ist die Uebereinstimmung der Institutionen
des ungarischen Rechts mit dem westeuropäischen, namentlich deutschen,
ausserordentlich, ja überraschend gross; für die zweite Periode ist der Ein-
fluss der karolingischen Einrichtungen und für die dritte das Vorbild der
Verfassungszustände im Deutschen Reich meines Erachtens unverkennbar.
Wenn auch das Lehnrecht in Ungarn keinen Eingang gefunden hat, so haben
doch die grossen königlichen Landschenkungen, die dauernde Verbindung
hoher Staatsämter mit bestimmten Kirchenämtern, die Erblichwerdung der
Aemter der Obergespane, Gespane, Vizegespane usw., die Avizität der Be-
sitzungen der Geschlechter und das Erbrecht der Adligen, die Entstehung
eines erblichen Magnatenstandes und vieles andere in Ungarn einen Rechts-
zustand hervorgebracht, welcher von dem in den westeuropäischen Ländern
durch das Feudalwesen geschaffenen sachlich nicht gar so weit verschieden
ist. Doch kann das im einzelnen hier nicht näher ausgeführt werden. Auch
derjenige, in dessen Seele der das Werk durchwehende magyarische National-
stolz keinen so lebhaften Widerhall hervorruft, wird in dem Werk eine
reiche und vielseitige Belehrung finden und dem Verf. dafür dankbar sein.
Laband.