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Dr. Theodor Sternberg, Allgemeine Rechtslehre. Leipzig, G. J.
Göschensche Verlagshandlung. 1904. Erster Teil: Die Methode. Zweiter
Teil: Das System.
Es ist jedenfalls heutzutage sowohl unter Juristen wie unter den Ge-
bildeten jeglichen Berufes und Standes ein Bedürfnis nach einer allgemeinen
Rechtslehre vorhanden, und ein verdienstliches Werk wäre es, dieses Bedürfnis
möglichst vollkommen zu befriedigen. Welche Aufgabe hat nun eine solche
allgemeine Rechtslehre in erster Linie? Sie hätte die ganze mannigfaltige
Rechtswelt auf ihre Elemente zurückzuführen oder auf ihre Grundbegriffe.
Man kann diese Rechtslehre mit dem Verf. als die allgemeine Rechts-
lehre im engeren Sinne bezeichnen und auf sie sollen sich des beschränkten
Raumes wegen die nachfolgenden kritischen Erörterungen beziehen.
Es ist nun vor allem die Frage zu beantworten, steht der Verf. bei
der Behandlung der Rechtselemente auf der Höhe der einschlägigen Literatur,
die er, wie er in der Ankündigung sagt, mit dem 1. Jan. 1903 abgeschlossen
hat? Die Frage ist zu verneinen. Er kennt nicht meinc beiden ein-
schlägigen Werke:
Tatbestand, Rechtsverhältnisse und Rechtsordnung, Grundlagen eines
allgemeinen Teils des Privatrechts; einleitender Teil, Das Römische In-
stitutionensystem, sein Wesen und seine Geschichte, Berlin 1897, und: Das
intertemporale Recht, Das Recht der zeitlich verschiedenen Rechtsordnungen.
Erster Teil: Geschichte des intertemporalen Privatrechts, Leipzig 1902.
Welche Tragweite die Unkenntnis dieser beiden Werke für die all-
gemeinere Rechtslehre des Verf. hat, wird sich im folgenden zeigen.
Welches sind nun die Elemente, auf welche sich die Erscheinungen der
ganzen Rechtswelt zurückführen lassen? Es sind dies der Tatbestand, das
Rechtsverhältnis und die Rechtsordnung. Die systematische Reihenfolge
wäre: Rechtsordnung, Tatbestand und Rechtsverhältnis; denn der Tatbestand
vermittelt unter Anerkennung der Rechtsordnung das Rechtsverhältnis. Tat-
bestand und Rechtsordnung sind also primäre Faktoren, das Rechtsverhältnis
dagegen ist ein sekundärer Faktor der Rechtswelt. Allein die Reihenfolge
muss auch auf den Lehrzweck Rücksicht nehmen. Für diesen aber sind
folgende Gesichtspunkte massgebend: Rechtsordnung und Rechtsverhältnis
sind Abstraktionen, der Tatbestaud im konkreten Sinne dagegen sinnlich
wahrnehmbar. Da sich nun die allgemeine Rechtslehre nicht nur an Juristen,
sondern auch an alle Gebildete wenden will, so ist es empfehlenswert, wenn
sie sich zunächst mit dem konkreten Elemente befassen würde, um dann zur
Darstellung der Abstraktionen überzugehen. Sie würde dann mit dem leichter
fasslichen Stoffe beginnen und mit dem schwierigeren und verwickelteren
endigen. Welche Reihenfolge hat nun der Verf. gewählt, die systematische
oder die pädagogische? Keine von beiden. Er beginnt mit der Rechts-
ordnung, geht daun zu den subjektiven Rechten über, behandelt bei deren