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Entstehung, Abänderung und Endigung den Tatbestand und schliesst mit
dem Rechtsverhältnis.
Die drei Rechtselemente, Tatbestand, Rechtsverhältnis und Rechts-
ordnung sind nun von ebenbürtiger Wichtigkeit. Die allgemeine Rechts-
lehre hat sie daher auch ebenmässig zur Darstellung zu bringen; keines darf
bevorzugt werden, keines zu kurz kommen, insbesondere nicht der Tat-
bestand. Im Gegenteil, der Tatbestand bildet neben der Rechtsordnung
einen primären Faktor der Rechtswelt und darf daher nicht stiefmütterlich
behandelt werden. Leider hat ihn der Verf. nur kurz und nur als Episode
der subjektiven Rechte dargestellt. Der Rechtsordnung widmet er fünf
Seiten (S. 17—21), dem subjektiven Rechte 18 Seiten (S. 21—38), dem
Rechtsverhältnis eine Seite (S. 51), dem Tatbestand aber nur 2!/2 Seiten
(S. 36—38). Da nun, wie sich zeigen wird, die subjektiven Rechte nur Er-
scheinungsformen des Rechtsverhältnisses sind, so ist klar, dass der Tat-
bestand den beiden andern Faktoren gegenüber zu kurz gekommen ist.
Damit hat der Verf. auch darauf verzichtet, seine allgemeine Rechtslehre
instruktiv zu gestalten, denn der Tatbestand ist, wie gesagt, das einzige
konkrete Rechtselement, das auch dem gebildeten Jaien näher steht. Dass
auch die Darstellung der Rechtsordnung zu knapp gehalten ist, geht aus der
obigen Uebersicht hervor.
Wie hat nun der Verf. die einzelnen Rechtselemente behandelt? Beginnen
wir mit der Rechtsordnung. Wir vermissen hier vieles, beschränken uns aber
auf die Hauptpunkte. Zunächst fehlt es an einer einheitlichen Definition der
Rechtsordnung; norma agendi kann dafür keinen Ersatz geben. Dann vermissen
wir die Einteilung der Rechtsnormen in positive und negative, in verbietende
und gebietende, erlaubende, gewährende und ermächtigende, in Haupt- und Hilfs-
rechtsnormen. Die Einteilung der leges in imperfectae, minus quam perfectae,
perfectae und plus quam perfectae bezieht sich bekanntlich nur auf solche Rechts-
normen, welche ein Rechtsgeschäft verbieten. Der Verf. stellt aber diese
Einteilung als eine allgemeine auf und spricht von „Handlung“ statt von
Rechtsgeschäft (S. 19/20). In der Tat kaun man Jie Einteilung auch auf
Gesetze erweitern, welche eine unerlaubte Handlung verbieten. Dann aber
ist die Definition so: Die lex imperfecta verbietet nur die Handlung, ohne
eine Strafe darauf zu setzen, die minus quam perfecta dagegen verbietet sie
und bedroht sie mit Strafe. Aber leges perfectae und plus quam perfectae
gibt es bei solchen Gesetzen nicht, denn der Gesetzgeber kann nur ein Rechts-
geschäft, nicht aber eine Tat für nichtig erklären.
Bei der Kraft der Rechtsnormen hinsichtlich der Zeit (S. 20) fehlt die
Angabe der älteren und neueren intertemporalen Rechtsregel. Unzutrefiend ist
die Behauptung, dass im öffentlichen Recht das Prinzip der Rückwirkung
herrsche. Unrichtig ist auch die Behauptung auf S. 21, dass die regierenden
Fürsten den Gesetzen mit Ausnahme des Verfassungsrechts nicht unter-
worfen sind.