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Dr. Heinrich Ryffel, Die schweizerischen Landsgemeinden. Zürich,
Schulthess & Cie., 1904. XIV und 342 S.
Es ist ein dankbarer Gegenstand, den Verf. sich hier gewählt hat.
Die Landsgemeinde stellt sicherlich eine höchst merkwürdige Eigentümlich-
keit des schweizerischen Staatsrechts vor; es war nicht nötig, dies durch
einen Ausspruch Napoleons zu belegen. Ebenso hat Verf. recht, wenn er
im Vorwort bemerkt, dass die wissenschaftliche Behandlung dieses Gegen-
standes noch zu wünschen übrig lässt. Das republikanische Staatsrecht
findet ja Beachtung genug, mehr als genug, möchte man fast sagen. Aber
es sind gewisse allgemeine Ideen, wesentlich französischen Gepräges, die
ihre Rolle spielen. Ehrwürdige Gestaltungen, die ihren Stammbaum zurück-
führen können bis in die alten Wälder Germaniens — Verf. betont das mit
Recht —, werden nur sehr nebensächlich beachtet. Hier war also in der
Tat eine Lücke auszufüllen. Und, mit allem Vorbehalt mancher abweichenden
Meinung, dürfen wir doch dem Verf. uusern Dank dafür aussprechen, dass
er sich dieser Aufgabe unterzogen, und dass er sie so gelöst hat, wie er es
getan: sorgsam, gewissenhaft und mit voller Liebe zur Sache.
Die grössere Hälfte des Buches bandelt von der Geschichte der Ein-
richtung (S. 1—198). Sehr viel Stoff ist hier verarbeitet. Es ist gewiss
verdienstlich, das alles einmal ordentlich zusammengestellt zu haben. Dass
es nicht gerade sehr anziehend zu lesen ist, liegt nicht am Verf. Wie
immer wieder dieselben Dinge mit kleinen Abweichungen sich wiederholen,
bei jedem der kleinen Splitter von Gemeinwesen, die da in Betracht kommen,
das wirkt auf die Dauer doch recht ermüdend. Einen frischen Zug bringt
erst wieder die freimütige Kritik der Zustände vor der französischen Re-
volution S. 141ff. Die hochtrabenden Titulaturen, welche die Lands-
gemeinden sich geben lassen, und ihre Strenge gegen jeden Versuch, ihre
Unfehlbarkeit anzuzweifeln — jeder Tadel wird gleich einem crimen laesae
inajestatis geahndet —, das erinnert ja alles recht lebendig an unsere Sere-
nissimi und hochmögenden Räte. Nachdem der Sturm vorüber gebraust
und die französische Oberherrschaft gebrochen worden war, treten die Lands-
gemeinden überall, wo sie vor der „Helvetique“ bestanden hatten, wieder
in ihr altes Recht und erklären sich wieder als „den rechtmässigen sou-
veränen Landesfürsten“ (S. 166). Es waren 1815 acht Kantone, welche
Jsandsgemeindeverfassung hatten. Im Jahre 1847 schieden Zug und Schwyz
aus. Verf. schildert sehr stimmungsvoll die vorletzte Schwyzer Lands-
geıneinde, wo 10000 Mann beschlossen, anı Sonderbund festzuhalten. Bald
darauf, am 15. Dezember 1847, „versammelte sich das souveräne Volk von
Schwyz zum letzten Male“. Das Gebiet musste als zu gross angesehen
werden, um es noch weiter in solcher Weise zu regieren (S. 170).
Das zweite Buch, „Gegenwart“, beginnt mit der Feststellung, dass zur-
zeit noch sechs „Landsgemeindekantone“ bestehen: Uri, Unterwalden ob
und Unterwalden nid dem Wald, Glarus, Appenzell der äusseren und der