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noch in weit höherem Grade bei den gegenwärtigen Vorschlägen
der Fall sein, die bedeutend weiter gehen, deren Verfasser über-
dies nicht entfernt jenes Mass von Sachkunde und Erfahrung zu
Gebote steht, welches erforderlich ist, um eine so schwierige Auf-
gabe in wirklich befriedigender Weise zu lösen. Ich bin mir auch
vollkommen bewusst, dass die vorliegende Skizze — denn nicht
mehr will mein Entwurf sein — weit entfernt davon ist, eine
brauchbare Lösung zu enthalten. Wenn ich dennoch den Versuch
unternahm, so geschah es, weil erfahrungsgemäss durch eine posi-
tive Unterlage, mag sie auch noch so verfehlt sein, die öffent-
liche Erörterung einer Frage weit besser in Fluss kommt, als
durch die besten theoretischen Ausführungen; es wäre schon ein
grosser Erfolg dieser Arbeit, wenn Berufenere als ich meine Vor-
schläge dazu benützen würden, nicht, wie es bisher geschah, ein
Eingeborenenstrafrecht in allgemeinen Ausführungen in Bausch
und Bogen zu verwerfen, sondern jeden einzelnen Paragraphen
auf seine Brauchbarkeit zu prüfen und ihn durch andere bessere
Vorschläge zu ersetzen. Wenn dann auch von meinem Entwurf
kein Stein auf dem andern bleibt, so hat er auf diese Weise
dennoch seinen Zweck erfüllt.
Das grösste sachliche Bedenken, welches gegen die Schaf-
fung eines Eingeborenenstrafrechts geltend gemacht werden kann,
ist zweifellos die ungeheure Verschiedenheit, welche in den kul-
turellen Anschauungen und der Bildungsstufe zwischen den An-
gehörigen der verschiedenen farbigen Rassen besteht. Denn ich
verkenne nicht, dass in der Kolonie der Schwerpunkt der Recht-
sprechung auf der Fühlung des Richters mit dem Volke weit
mehr noch wie im Mutterlande beruht, im besonderen der straf-
rechtliche Zweig der Rechtspflege kann seiner Aufgabe, die Be-
völkerung zu erziehen, nur gerecht werden, wenn er die Fühlung
mit dem Volksrecht nicht verliert. Die Gefahr einer starren
Schablonisierung, wie sie jedes geschriebene Recht mehr oder
minder in sich birgt, zu vermeiden, ist hier das wichtigste und