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Der Obermilitäranwalt untersteht nach $& 105 Abs. 1 dem
Präsidenten des Reichsmilitärgerichts. Nach Abs. 2 hat er „in
Fragen, welche die Geltung oder die Auslegung einer militäri-
schen Dienstvorschrift oder eines militärdienstlichen Grundsatzes
betreffen oder allgemeine militärische Interessen berühren“, die
Ansicht des Präsidenten zu vertreten. Im übrigen ist er also
an die Auffassung des Präsidenten nicht gebunden und ins-
besondere nicht verpflichtet, in Fragen, die sich auf die Geltung
oder Auslegung von Gesetzen beziehen, der Meinung des Prä-
sidenten zu folgen®?. Zweifelhaft ist aber, ob in solchen Fällen
nicht der Kaiser selbst berechtigt ist, dem Obermilitäranwalt
Weisungen mit bindender Kraft zu erteilen. Die Frage ist
meines Erachtens aus zwei Gründen zu verneinen. Sowohl der
Obermilitäranwalt wie der Präsident leiten ihre Kompetenz aus
der Rechtssphäre des Kaisers ab. Soweit der Präsident be-
rechtigt ist, dem Obermilitäranwalt Anordnungen mit binden-
der Kraft zu erteilen, vollzieht er nur den Willen des Kaisers.
Wenn nun der Kaiser für berechtigt erachtet wird, dem Ober-
militäranwalt über die Schranken des $ 105 Abs. 2 hinaus-
gehende Befehle zu geben, so liegt kein Grund vor, der es
rechtfertigte, dass der Kaiser derartige Befehle nicht durch
den Mund des Präsidenten des Reichsmilitärgerichts verkünden
darf. Der Obermilitäranwalt ist ferner im Geschäftsgange dem
Kaiser nicht unmittelbar unterstellt. Zwischen ihnen steht der
Präsident des Reichsmilitärgerichts, der den Verkehr vom Kaiser
zum Obermilitäranwalt vermittelt. Wollte man nun auch den
Kaiser für berechtigt erachten, dem Obermilitäranwalt im ein-
zelnen Falle direkt einen Befehl zu erteilen, so würde hierin doch
immer eine Abweichung von dem durch die gesetzliche Behörden-
formation gebotenen regelmässigen Geschäftsgange liegen. Wenn
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53 Ebenso von KoppMann a. a. OÖ. $ 107 Anm. 3 S. 187f.; SEIDEN-
SPINNER, Die Militärstrafgerichtsordnung 2. Aufl. $ 105 Anm.1.