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namentlich mit der administrativen Einteilung des Staates nach Kron-
ländern. Der „Kronlandspolitik* gilt denn auch hauptsächlich der Kampf
des Verf. Die Kronländer, in welchen das Schwergewicht unserer Ver-
waltung ruht, sind, wie durch Vergleichung mit der Organisation der euro-
päischen Staaten überzeugend dargetan wird, schon vermöge ihrer verschie-
denen Grösse und ihres mitunter übermässigen Umfanges (Böhmen, Galizien
im Vergleiche zu Salzburg, Vorarlberg) nicht die geeigneten Verwaltungs-
organismen. Als Territorien vormals souveräner Staaten, in welchen in der
Regel ein Volksstamm die Vorherrschaft hatte, sind aber die heute von
mehreren Volksstämmen bewohnten (gemischtsprachigen) Kronländer die
natürlichen Feinde einer gerechten Differenzierung der Interessen der Volks-
stämme.
Es ist nicht leicht, aus der Fülle der von politischem Blicke und Un-
befangenheit zeugenden Ausführungen das wesentlichste hervorzuheben. Die
theoretische Analyse eines politischen Kampfes ist an sich schon ein schwie-
riges Unternehmen; namentlich aber die Analyse unseres nationalen Kampfes,
bei welchem die eigentlichen, nicht immer gerade idealen Ziele sich so gerne
hinter tönenden Redensarten bergen. Der Kampf der österreichischen
Nationalitäten, sagt der Verf., ist ein Kampf um die Macht. Ob reine
Machtkämpfe einer theoretischen Betrachtung zugänglich sind, lässt sich be-
streiten. Wenn man aber zugibt, dass der Nationalitätenstreit nicht Laune
und Willkür einzelner führender Persönlichkeiten ist, sondern notwendige
Folge konkreter Ursachen, dann muss derselbe auch theoretisch zu erfassen
sein. Die Handhabe hierfür bietet aber dem Verf. die gewiss richtige Wahr-
nehmung, dass die tatsächliche Machtstellung der einzelnen nationalen
Gruppen in Oesterreich, welche durch eine ungerechte Wahlordnung und
durch eine für unsere Verhältnisse unzweckmässige territoriale Verwaltungs-
organisation gänzlich verfälscht und verschoben wurde, nur durch eine
rechtliche Organisation der Volksstämme ihre richtige, den inneren
Kräften entsprechende Entfaltung finden kann. Diese Organisation, für welche
Verf. konkrete Vorschläge macht, ist die erste Bedingung des Ausgleiches;
wer Rechte geltend machen will, muss zunächst Rechtssubjekt sein.
Von diesem Prinzipe ausgehend baut nun Verf. sein sinnreiches, wenn
auch etwas kompliziertes Gebäude eines „Nationalitätenbundesstaates“
auf Grundlage „nationaler Autonomie“ auf, welcher durch Verbindung der
staatlichen mit der autonomen Verwaltung den nationalen sowie den staat-
lichen Interessen gerecht werden soll. Die kulturellen Interessen der ein-
zelnen Volksstämme sollen durch nationale Interessentenvertretungen, die
namentlich in den zu bildenden Kreisen ihren Schwerpunkt finden würden,
auf alleinige Kosten und unter Kontrolle der Volksgenossen (Nationalrat,
nationales Ministerium) zur Verwirklichung gelangen. Es ist hier somit die
in unserem politischen Kampfe immer mehr vordringende Idee der Ver-
selbständigung der nationalen Gruppen in der öffentlichen Verwal-