— 612 —
rechtlicher Beziehung steht so unbezweifelt fest, dass sie gar nicht in Frage
gestellt werden kann; das Beispiel Frankreichs, Spaniens, Oesterreichs, der
deutschen Einzelstaaten und vieler andern Staaten sind genügende Beweise
dafür. Anderseits ist nichts so gewiss und sicher, als dass gerade die Men-
schen, aus denen sich der Staat zusammensetzt, unablässig wechseln und
eine wesentliche Eigenschaft des Staates gerade darin besteht, dass er seine
Identität bewahrt, trotzdem es keine Identität der Staatsangehörigen gibt.
Das ist eben der innerste Grund für die Personifikation des Staats. Darin
liegt auch der positive Rechtsgrund für den Fortbestand der Schulden, und
nicht bloss dieser, im Falle einer Verfassungsänderung, der keineswegs bloss
einem Billigkeitssatz entspricht. Wie mancher Staat würde sich über eine
solche Anforderung der Billigkeit hinwegsetzen, wenn er sich durch eine
Verfassungsänderung von seinen Schulden befreien könnte!
Der Verf. geht aber, wie er sagt, noch weiter und behauptet, dass die
Vorschriften über die Revision der Verfassung bei der Charakterisierung
eines Staates völlig ausser Betracht fallen (S. 7), ja er spricht den Vor-
schriften über die Verfassungsrevision überhaupt die juristische Geltung ab.
„Wer die Verfassung bekämpft — sagt er S.8 — will nicht auf dem Boden
des positiven Rechtes diskutieren, sondern auf dem Boden des richtigen
Rechtes; dem geltenden Recht wird nicht die formale Gültigkeit abgesprochen,
sondern die innere Berechtigung; es wird vor das Forum der Vernunft ge-
stellt und soll sich da verantworten. Man kann also dem Revisionsanhänger
nicht mit juristischen Argumenten antworten, ihm Verletzung eines positiven
Rechtes vorwerfen, das er ja eben abschaffen will... Es kann wohl
sein, dass der die Revision Begehrende sich den von der Verfassung selbst
aufgestellten materiellen oder formellen Schranken anbequemt und den ver-
fassungsmässig vorgeschriebenen Weg der Revision einschlägt. Dann wird,
sagt der Verf., die Frage nicht praktisch; wer sich freiwillig einer Anord-
nung unterwirft, den braucht man die Rechtskraft der Anordnung nicht
fühlen zu lassen; gegen denjenigen aber, der sich ihr widersetzt, verliert sie
ihre bindende Kraft, weil sie ihrem Gegner nicht auf demjenigen Boden ent-
gegentreten kann, auf dem er sie angreift. „Die Revisionsvorschriften können
also in der Tat vernünftigerweise nur so lange Geltung beanspruchen, als sie
freiwillig anerkannt werden, mit andern Worten, sie sind keine Rechts-
vorschriften“ (S. 9). Offenbar verwechselt der Verf. Verfassungsrevision und
Revolution, für die es allerdings keine Rechtsregeln gibt. Mit dem gleichen
Grunde könnte er auch den Vorschriften über den Diebstahl den Charakter
der Rechtssätze absprechen; denn wenn der Dieb sich auf den Standpunkt
stellt, das Eigentum nicht anzuerkennen, kann das Strafgesetzbuch ihm nicht
auf demjenigen Boden entgegentreten, auf dem er es angreift. Den Wert
der Revisionsvorschriften sieht der Verf. nur darin: „im Momente der Re-
vision einen, wenn auch unverbindlichen Vorschlag über das dabei zu
befolgende Verfahren an der Hand zu haben“ (S. 10), Auch hier ist der