Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunzehnter Band. (19)

-— 613 — 
Zweck dieser sonderbaren Behauptungen, die Souveränität der Schweizer 
Kantone resp. der deutschen Einzelstaaten gegen den Einwand zu sichern, 
dass ihre Kompetenz gegen ihren Willen durch eine Abänderung der Bundes- 
resp. Reichsverfassung geschmälert werden können, sie also ihre Rechte nur 
durch Duldung oder Gewährung der ihnen übergeordneten Staatsgewalt be- 
sitzen. 
Was die Erörterungen des Verf. über den Bundesstaat anlangt, so ist 
schon oben erwähnt worden, dass er die alte Wartzsche Theorie von der 
Teilung der Souveränität wieder heraufbeschwört. Der Verf. unterscheidet 
die Beziehungen zu andern Staaten und zu andern Rechtsgewalten auf 
demselben Gebiet und über denselben Menschen und behauptet, dass ein 
Staat zugleich souverän nach innen und nicht souverän nach aussen sein 
könne und umgekehrt. Als Analogien führt er an: „Der bevollmächtigte 
Mandatar ist gegenüber dem Schuldner des Mandanten zur Erhebung der 
geschuldeten Summe befugt, nicht aber gegenüber dem Mandanten selbst; 
der bona fide Erwerber einer gestohlenen Sache ist jedermann gegenüber 
Eigentümer, aber dem Bestohlenen gegenüber nicht; der Beamte ist dem 
Bürger gegenüber zur Ausübung seines Amtes berechtigt, aber dem Staate 
gegenüber nicht; die Gemeinde ist den Gemeindemitgliedern gegenüber zur 
Ausübung der Autonomie berechtigt, nicht aber dem gesetzgebenden Staate 
gegenüber, da ihre Autonomie auf dem Gesetz beruht* (S. 16). So viele 
Sätze, so viele Irrtümer. Der Mandatar ist, solange das Mandat überhaupt 
besteht, zur Ausführung des Auftrages sowohl dem dritten als dem Mandan- 
ten gegenüber befugt und hat gegen ihn die actio mandati contraria; der 
bona fide Erwerber einer gestohlenen Sache ist überhaupt kein Eigentümer 
derselben, gegenüber dritten sowenig wie gegenüber dem Bestohlenen, da- 
gegen ist der bona fide Erwerber einer freiwillig aus Händen gegebenen 
Sache Eigentümer derselben sowohl im Verhältnis zu dritten wie im Ver- 
hältnis zum früheren Eigentümer. Der innerhalb seiner Zuständigkeit han- 
delnde Beamte handelt sowohl dem Bürger wie dem Staate gegenüber recht- 
mässig und dasselbe gilt von der Gemeinde, welche ihre Autonomie inner- 
halb ihrer gesetzlichen Schranken ausübt. Der Verf. verwechselt hier 
durchweg die Existenz eines Rechts mit der Möglichkeit seiner Aufhebung 
oder Beschränkung. Er hält cs ferner für möglich, dass die Kompetenzen 
zweier Staatswesen auf demselben Gebiet streng voneinander abgegrenzt 
werden können. Ob diese Möglichkeit „denkbar“ ist, kann auf sich beruhen; 
dass dies tatsächlich weder im Deutschen Reich noch in der Schweiz der 
Fall ist, ergibt sich aus zahlreichen Artikeln ihrer Verfassungen und ihrer 
gesamten Gesetzgebung. Wenn ein Staat auch im völkerrechtlichen Verkehr 
nicht souverän ist (wie die Kantone und die deutschen Einzelstaaten), so 
sei doch „unentbehrliche Bedingung eines Staates, dass seine Organe in der 
Herrschaft über Land und Leute die höchsten seien“; „die innere Souveräni- 
tät oder die höchste Herrschaftskompetenz im Lande sei somit eine wesent-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.