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durch die letztere — sagt der Verf. — aus der Staatsrechtswissenschaft die
historischen, politischen, philosophischen, ethischen und andern metajuristi-
schen Elemente ausgeschieden und das Staatsrecht aus einer chaotischen
Anhäufung von Materialien und Betrachtungen aller Art zu einer juristischen
Wissenschaft von und für Juristen gemacht worden war, hat sich gegen
diese Behandlungsweise eine Opposition gebildet, welche die Isolierung des
Staatsrechts tadelt, den Zusammenhang des Rechts und insbesondere des
Staatsrechts mit der Gesamtheit der sozialen Erscheinungen gewahrt wissen
will, das Staatsrecht nur als einen Teil der Gesellschaftswissenschaft auf-
fasst und der juristischen Methode den Vorwurf macht, dass sie nur mit
einer formalen Logik operiere, die realen Grundlagen und den wahren In-
halt des staatlichen Wesens und Wirkens dagegen unbeachtet lasse. Diese
sog. soziologische Methode unterwirft der Verf. einer glänzenden, meister-
haften Kritik, von welcher hier nur die Grundzüge angedeutet werden können,
so verlockend es wäre, diese interessanten Ausführungen in vollständiger
Uebersetzung wiederzugeben. Wenn die Vertreter der soziologischen Me-
thode sich rühmen, die Wirklichkeit darzustellen, so erhebt der Verf. die
Frage: „Was ist wirklich?“ Die wissenschaftliche Erkenntnis einer Sache
ist immer nur möglich hinsichtlich einzelner Eigenschaften oder Beziehungen
der Sache durch Unterscheidungen und Abstraktionen, durch welche sich
die wissenschaftlichen Begriffe bilden; jeder wissenschaftliche Fortschritt
beruht auf der Teilung der Arbeit, auf dem Vorgang der Isolierung und
Abstraktion. In Wirklichkeit gibt es keine Unterscheidung unter den Sachen
und Erscheinungen; die Wirklichkeit ist an und für sich selbst einheitlich
und einzig; aber keine Wissenschaft kann eine Photographie oder Kopie
der Wirklichkeit geben, sondern sie ist eine Herrin, eine Kunst, in dem
Sinne, dass sie die Wirklichkeit für ihre Zwecke und in ihren Formeln ge-
staltet. Bei den Soziologen herrscht noch der alte Wahn, dass es eine
„Wahrheit“ gebe, welche in der Reproduktion der Wirklichkeit bestehe und
dass der Geist der Spiegel der Welt sei, in welchem die Wirklichkeit sich
abspiegelt. Diese Anschauungsweise ist längst von der modernen Erkenntnis-
lehre widerlegt und überwunden worden und dies gilt auch von der Wissen-
schaft des Rechts und Staats. Das Recht ist lediglich die Form, die äussere
Hülle der verwickelten und vielgestaltigen gesellschaftlichen Verhältnisse
und es ist gerade eine Eigenschaft der Form, dass sie unabhängig von
jedem Inhalt behandelt werden kann. So die Mathematik im Verhältnis
zur Physik, welche auf mathematische Formeln zurückgeht. Gerade diese
äussere Form bildet das juristische Moment der sozialen Verhältnisse und
auf sie muss vor allem geachtet werden, um zu sehen, was juristisch ist.
Die soziale Wirklichkeit bietet eine Fülle von unter sich zusammenhängenden
Erscheinungen, die im Einklang miteinander stehen, die aber anderseits ihre
besonderen Merkmale haben; daher ergibt sich die Notwendigkeit der Ana-
lyse neben der Synthese und nur durch die analytische Betrachtung kann