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verschiedenen Schriftsteller, sondern er versteht es vortrefflich, die ent-
scheidenden Gesichtspunkte hervorzuheben, die Konsequenzen der grund-
legenden Theorien darzulegen und die kritischen Einwendungen, welche gegen
sie erhoben worden sind, wiederzugeben. Der Abschnitt, welcher sich mit
der Völkerrechtsgemeinschaft und der Stellung der einzelnen Staaten in
derselben beschäftigt, gibt ebenfalls eine Dogmengeschichte dieser Lehre
vom Mittelalter bis in die neueste Zeit.
In Deutschland kennt man meines Erachtens viel zu wenig die neuere
italienische staatsrechtliche Literatur, welche eine grosse Menge aus-
gezeichneter und sehr hervorragender Werke enthält; sie hat von der
deutschen Staatsrechtswissenschaft viele Anregungen und Befruchtungen
empfangen und hat sich infolgedessen zu einer reichen Blüte entwickelt;
sie hat aber auch ihrerseits die Staatsrechtswissenschaft erheblich ge-
fördert und es ist ein Mangel der deutschen Literatur, dass sie nicht in
grösserem Masse, als es tatsächlich der Fall ist, diese bedeutende Geistes-
arbeit berücksichtigt. Anderseits hat sich in Italien neuerdings eine Oppo-
sition gegen die Beeinflussung der Staatsrechtswissenschaft durch die deutsche
Literatur erhoben und man hat von manchen Seiten die Verquickung
des Staatsrechts mit der Politik und den parteipolitischen Tendenzen als
einen auf dem italienischen Nationalcharakter beruhenden Vorzug hingestellt,
den man sich gegenüber der in Deutschland herrschenden Behandlung des
Staatsrechts bewahren müsse. Diese Hineintragung nationaler Gegensätze
in die wissenschaftliche Methode ist sicherlich unbegründet und die hoch-
fahrende Abfertigung der scrittori tedeschi, in welcher sich einzelne italie-
nische Gelehrte gefallen, kann dem Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis
nicht von Nutzen sein. Die deutsche und die italienische Wissenschaft ver-
danken sich auf allen Gebieten geistiger Arbeit gegenseitig so unermesslich
viel, dass kein Grund zu chauvinistischer Hervorkehrung nationaler Gegensätze
gegeben ist. Um so erfreulicher ist dies liebevolle und eindringende Studium
der deutschen Literatur, ihre vorurteilslose Würdigung und ihre frucht-
bringende Verwertung in dem hier besprochenen Werk von BıaLıarı. Das-
selbe wird nach seiner Vollendung einen hervorragenden Platz in der Jitera-
tur des Staats- und Völkerrechts einnehmen und von der Gelehrsamkeit
und Gründlichkeit des Verf. ist noch manche wertvolle Bereicherung dieser
Wissenschaften zu erwarten. Laband.
Oesterreichisches Verwaltungsarchiv. Unter Mitwirkung zahlreicher Fach-
männer herausgegeben von Dr. Ferd. Schmid, Universitätsprofessor
in Innsbruck, Wien, F, Tempsky, und Leipzig, G. Freytag. I. Jahr-
gang 1904 und II. Jahrgang, Heft 1 und 2, 1905.
Für das österreichische Verwaltungsrecht fehlte es bisher an einer,
dieser Materie speziell gewidmeten Zeitschrift; diese Lücke soll das Ver-