_ 61 —
schiedslos als strafbar gelten und nach englischem „Criminal Law“
beurteilt werden. Es sind dies: 1. Tötung, 2. Körperverletzung,
3. Verletzung der immateriellen Rechtsgüter?®, 4. Eigentums-
vergehen, 5. Betrug, 6. Meineid.
Alle andern strafbaren Handlungen werden nach „civilization
and law“ der Eingeborenen beurteilt. Ausser den uns geläufigen
Tatbeständen spielen insbesondere hier die Ausübung der Hexen-
und Wahrsagekunst, sowie die Verletzungen des Eherechts (Fordern
einer zu hohen Mitgift) eine Rolle.
Bemerkenswert ist, dass in den englischen Kolonien allent-
halben die Tendenz besteht, das Recht der einheimischen Be-
völkerung so viel als möglich zu schonen, soweit es irgend angeht
auch schriftlich aufzuzeichnen. Demgemäss sind in Indien min-
destens ein Dutzend Eingeborenenstrafgesetzbücher in den ver-
schiedenen Bezirken verfasst und in Anwendung bei den Gerichten.
Auch für Südafrika existiert eine derartige Kodifikation, der Natal
Native Code, in den übrigen britischen Kolonien sind die dahin
zielenden Bestrebungen noch nicht zum Abschluss gelangt.
$ 2. Frankreich.
Auf einer ganz andern Grundlage ruht die Strafrechtspflege
über die Eingeborenen in Frankreich. Dort fusst die ganze
Kolonisation auf dem Prinzip der Assimilation — der Eingeborene
” Ich entnehme diese Klassifikation wörtlich aus der Zusammenstellung
der Kolonialabteilung (Drucksachen des Kolonialrates Per. VI Anl.5 S. 54)
ohne zu wissen, was für eine Vorstellung dort mit dem Begriff „immaterieller
Rechtsgüter“ verbunden ist. Sollte hierunter etwa das Rechtsgut der
Ehre verstanden sein, so erscheint es unzweckmässig, hier auf Eingeborene
englisches Recht anzuwenden, da nach den Anschauungen vieler eingeborener
Völker die Beleidigung straflos ist. Allerdings kommt ja das englische Recht
den Anschauungen der Eingeborenen hier wesentlich entgegen, indem es als
Beleidigung (slander) nur den Vorwurf einer strafbaren Handlung (also Dieb,
Räuber etc.) qualifiziert, einfaches Schimpfen aber für straflos erklärt. Dass
unter immateriellen Rechtsgütern Patent-, Marken-, Urheberrechte u. dgl.
verstanden sein wollen, ist wenig wahrscheinlich.