Full text: Archiv für öffentliches Recht.Neunzehnter Band. (19)

werdend, allmählich zwar, doch unwiderstehlich zum eisernen 
Zwang sich fortentwickelt. Freilich, manche Tat, die nach 
unserem Rechtsgefühl die strengste Ahndung heischt, mag heute 
noch durch Vermahnungen, durch Geldbussen und milde Strafen 
bekämpft werden, bis unter dem Einfluss von Schule und Mission 
das Gefühl der Strafbarkeit und Verantwortlichkeit sich voll ent- 
wickelt hat. Aber das kann kein Grund sein, nicht jetzt schon 
die Gebote und Verbote des Staatswillens unzweideutig festzu- 
legen. 
Wenn ich also die Momente für die Schaffung eines Ein- 
geborenenstrafrechtes in jeder Kolonie bereits im Augenblick ihrer 
Besetzung für gegeben halten möchte, so lässt sich nicht mit 
gleicher Bestimmtheit die Frage entscheiden, ob es möglich ist, 
für alle Kolonien ohne Rücksicht auf Religion und Bildungsgrad 
der Bevölkerung ein Strafgesetzbuch mit übereinstimmenden Nor- 
men zu schaffen. Die englische Praxis verneint bekanntlich diese 
Frage, sie behandelt grundsätzlich den Eingeborenen auch in 
Strafsachen „according to his civilization and law“. Da wo Ein- 
geborenenstrafgesetzbücher geschaffen wurden, wie für Natal, die 
verschiedenen Kasten und Provinzen Indiens, da beanspruchen 
dieselben nur engste lokale Bedeutung. Müssen wir daraus die 
Lehre ziehen, dass auch in unsern Kolonien eine einheitliche 
Strafgesetzgebung für Eingeborene nicht geschaffen werden 
kann? 
Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich alle strafrecht- 
lich interessierenden Handlungen, die von Eingeborenen begangen 
werden können, in zwei Klassen teilen: 
l. Angriffe gegen allgemein anerkannte Rechtsgüter, deren 
wirksamer Schutz Voraussetzung einer geordneten Entwicklung 
einer Kolonie ist. Hierher gehören vor allem die Verbrechen 
gegen Leib und Leben, gegen das Eigentum, gegen die Staats- 
gewalt, die Rechtspflege, den öffentlichen Frieden (die sog. mala 
ın se des englischen Rechts). 
Archiv für öffentliches Recht. XIX. 1. 6
	        
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