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Prostitution ist einer der wichtigsten Gegenstände der Polizei.
Schon oben habe ich erwähnt, dass man im französischen Recht
den in der Reglementierung der Prostitution enthaltenen Eingriff
in die persönliche Freiheit damit begründet hat, dass man den
Prostituierten die persönliche Freiheit schlechthin aberkannte,
indem man sie ganz ausserhalb des gemeinen Rechts stellte.
Ich habe auch schon gesagt, dass diese Konstruktion jeder ge-
setzlichen Grundlage entbehrt. Es bleibt nun aber immer noch
die Frage, ob die polizeilichen Massnahmen gegen die Prostitution
nicht doch innerhalb des droit commun denkbar sind als im
öffentlichen Interesse gerechtfertigte Eingriffe in die persönliche
Freiheit. Vorausschicken muss ich hier, dass die Feindschaft der
öffentlichen Meinung in Frankreich gegenüber der sogenannten SNit-
tenpolizei veranlasst ist, nicht sowohl durch die von der Polizei bean-
spruchten Befugnisse, als vielmehr durch deren Handhabung. Wie
schon unter dem ancien regime die ganze Strenge der Prostitutions-
polizei auf die niederen Klassen der Prostitutierten konzentriert
war, die mit den Mitgliedern der höheren Gesellschaftsschichten
liierten Kokotten aber sich wohlwollender Duldung erfreuten,
so ist dies auch heute noch in starkem Masse der Fall‘. Diese
ungerechte Handhabung der Befugnisse kann natürlich nicht in
Betracht kommen bei der rechtlichen Entscheidung über die
Existenz dieser Befugnisse. Vom rein rechtlichen Standpunkte
aus aber lässt sich unzweifelhaft ein öffentliches Interesse an der
genaueren Beaufsichtigung der Prostitution nicht ableugnen. Der
bereits erwähnte Einwand, der sich auf den Grundsatz stützt,
dass die Polizei niemanden gegen Gefahren, die ihm von sich
selbst drohen, zu schützen habe und es jedem überlassen müsse,
sich Gefahren auszusetzen, wie es ihm gut dünkt, trifft nicht den
Kernpunkt der Frage. Denn die Polizei will hier nicht sowohl
#4 Das konstatieren selbst ganz unparteiische juristische Schriftsteller,
wie CHASSAIGNE, La lieutenance generale de police de Paris 1906,
p. 211 ss, 214.