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den Einzelnen, als die Gesamtheit schützen: wegen der An-
steckungsgefahr ist die öffentliche Gesundheit und wegen
des Zusammenhanges der Prostitution mit dem berufsmässigen
Verbrechertum ist die öffentliche Sicherheit gefährdet. An sich
sind also polizeiliche Massregeln gegenüber der Prostitution ge-
rechtfertigt. Eine krasse Rechtswidrigkeit liegt jedoch darin,
dass die Pariser Polizei ihre Massregeln nicht mit den Strafen
schützt, die dem materiellen und formellen Polizeistrafrecht ent-
springen, sondern mit arbiträren Haftstrafen, die der Polizeipräfekt
aus eigener Machtvollkommenheit verhängt. Diese Rechtswidrig-
keit wird nur in ein grelleres Licht gesetzt dadurch, dass die
Polizei ihr Recht zu begründen sucht mit der Konstruktion eines
Vertrages, in dem sich die Dirne durch Unterzeichnung der
polizeilichen Anordnungen rückhaltlos der polizeilichen Aufsicht
unterwirft“®. Sind aber auch die polizeilichen Zwangsmassregeln
ungesetzlich, so sind es deshalb noch nicht die zur Ueberwachung
der Prostitution erlassenen Vorschriften selbst‘. Tatsächlich
hat denn auch der Kassationshof die Polizei zur Regelung des
Prostitutionswesens für zuständig erachtet, weil es sich dabei
um Massregeln im Interesse der öffentlichen Ordnung und Ge-
sundheit handelt®”. Die wichtigste der polizeilichen Massregeln ist
die den Prostituierten auferlegte Pflicht, sich in einer von der
Polizei geführten Liste einträgen zu lassen. Frauen, die sich
notorisch und gewohnheitsmässig der Unzucht hingeben, werden
von Amts wegen eingetragen. Mit dieser Eintragung sind die
Dirnen allen polizeilichen Massnahmen im Interesse der öffent-
lichen Gesundheit unterworfen, namentlich der Anordnung ärzt-
licher Kontrolle, eventuell der Zwangsheilung. Aber auch im
65 Vgl. PARENT-DUCHATELET, La prostitution dans la ville de Paris,
3e Ed. te. Ier. pag. 356.
*® BERTHELEMY 341 Ann. 1.
°° Enntsch. v. 8. Dez. 1847. Vgl. Yves Guyor, La prostitution, 1883
3. 232 F.