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gewisse Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des zwischen Russ-
land und Finnland bestehenden staatsrechtlichen Verhältnisses,
sind dabei von verhältnismässig untergeordneter Bedeutung. Je-
doch haben auch diese Fragen zum Teil keine geringe theore-
tische und prinzipielle Bedeutung; untereinander abweichende
Ansichten über das Kriterium des Staates machen sich bei ihrer
Beantwortung einigermassen geltend. Teilweise kommt ihnen
auch, wie im folgenden ausgeführt werden soll, eine gewisse prak-
tisch-politische Tragweite zu.
Ist man nun überzeugt, dass Finnland von Rechts wegen
innere Selbständigkeit und unentziehbare politische Rechte be-
sitzt, so ist es — mögen auch die Ansichten in betreff der staats-
rechtlichen Konstruktion einigermassen auseinandergehen — ent-
schieden unrichtig und unstatthaft, den von seiten Russlands er-
folgten Angriffen auf diese Rechte in irgend welcher Beziehung
rechtsveränderte oder rechtsaufhebende Wir-
kungen zuzuschreiben. Es ist daher sowohl unerwartet als auch
durchaus unrichtig, wenn das bekannte nunmehr ausser Kraft
gesetzte, kaiserliche Manifest vom 15. Februar 1899, welches die
Inauguration der gegen Finnland gerichteten gesetzwidrigen Mass-
regeln bezeichnet, von gewissen Autoren als ein die rechtliche
Stellung umgestaltender Akt aufgefasst und dargestellt wurde,
obgleich dieselben sich dessen rechts- und verfassungswidrigen
Charakters wohl bewusst sind. Indessen wird dem genannten
Manifest in den völkerrechtlichen Lehrbüchern von Bon-
FILS (Lehrbuch des Völkerrechts, III. Aufl., deutsche Ueber-
setzung von GROH) und DESPAGNET (Cours de droit international
III. Aufl.) eine derartige Bedeutung beigelegt. Dies muss um
so mehr wundernehmen, da DESPAGNET in einer früheren Ar-
beit (La question finlandaise) als ganz entschiedener Verteidiger
der Rechte Finnlands aufgetreten ist, Finnland als Staat aner-
kannt und die Verbindung zwischen Russland und Finnland als
Realunion bezeichnet hat. Da DESPAGNET diese Ansicht über