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seine eigene Rechtsordnung zu schaffen, den eigentlichen Prüf-
stein seines staatlichen Charakters sehen. So hält z. B. Des-
PAGNET die Souveränität für ein wesentliches Kennzeichen des
Staates, erklärt aber die sog. innere Souveränität (la souverainete
interne) für hinreichend und findet eben diese in dem eigenen,
nicht delegierten Gesetzgebungsrechte. Aus diesem Grunde trägt
er nicht das geringste Bedenken, Finnland den staatlichen COha-
rakter zuzuerkennen und das Verhältnis der beiden Staaten zu
einander sogar als Realunion aufzufassen‘.
Nach JELLINERsS Ansicht würde die finnländische Verfassung
einen Bestandteil der Gesamtverfassung eines Einheitsstaates
bilden; dadurch wäre sie, wie jede Verfassung, gegen willkür-
liche Aenderungen rechtlich geschützt. Erfolgt dennoch eine
solche, so wäre sie stets als Verfassungsbruch zu werten (Allgem.
Staatslehre S. 641). Indessen bietet diese Auffassung bedeutende
theoretische und praktische Schwierigkeiten und Ungelegenheiten.
— In einem im übrigen durchaus autokratischen Einheitsstaat
ist, wie oben bemerkt, die verfassungsmässige Ausgeschlossen-
heit und Aufhebung der Selbstherrschergewalt hinsichtlich eines
gewissen Staatsteiles nicht besonders leicht zu erfassen. Vor
allem können ja im ständischen Staate partikuläre Ungleich-
heiten in der rechtlichen Stellung des Monarchen vorkommen
und sich auch auf die Dauer behaupten, in einem durchweg ab-
solutistischen und nach immer grösserer Zentralisierung streben-
den Einheitsstaate dagegen werden sie sich als eine anormale
— eher politische als streng rechtliche — und darum ziemlich
leicht aufhebbare Capitis deminutio des Herrschers dar-
stellen. Ohne irgendwie in Zweifel zu ziehen, dass eine derar-
tige Organisation dennoch rechtlich und tatsächlich möglich
ıst, kann man in der Tat nicht umhin einzusehen, dass diese
Konstruktion auf erhebliche Schwierigkeiten stösst und schwie-
" DESPAGNET, La question finlandaise au point de vue juridique, Pa-
ris 1901.