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der Tat sozusagen eines entwickelteren öffentlich-rechtlichen Be-
wusstseins — wie es in der Regel nur in konstitutionellen Staaten
vorhanden ist —, um einzusehen und zuzugeben, dass auch ein
nichtstaatlicher Bestandteil eines Gesamtstaates seine eigenen,
ohne Zustimmung der zuständigen Organe dieses Teiles keineswegs
aufzuhebenden Rechte besitzen kann — mit anderen Worten —
um die Antinomie zu lösen, welche zwischen dem prinzipiell unbe-
schränkten Verfassungsänderungsrecht jedes Staates als recht-
lich homogener Einheit und der durch Partikularrechte einzelner
Staatsteile gesetzten Einschränkungen dieses Rechtes zu bestehen
scheint. In dieser Hinsicht bietet ja die Verfassungsgeschichte
der österreichischen Königreiche und Länder interessante Ent-
wicklungsstufen. Verfolgt man also den Gedanken einer konsti-
tutionellen Partikularverfassung als Bestandteil einer im übrigen
autokratischen „Gesamtverfassung“ zu Ende, so findet man, dass
die Konstitution eines äusserlich schwachen Gemeinwesens inner-
halb eines absolutistischen Gesamtstaates solchenfalls keineswegs
mit hinreichend starken und sicheren Garantien umgeben ist”.
Hiermit streifen wir das Gebiet der praktisch-politischen Erwä-
gungen. Eine von absolutistischen Ideen beseelte Staatsauffas-
sung übersieht, wenn auch nicht durch eigentlich feindliche Ab-
sichten motiviert, allzu leicht die wahre Bedeutung und unbe-
dingte Geltung der als Teil einer Gesamtverfassung aufzufassen-
den nichtstaatlichen Partikularverfassung eines Staatsteiles. Es
® Wesentlich anders würde es — um die hier berührte Auffassung an-
zuwenden — um ein mit eigener Verfassung ausgestattetes nichtstaatliches
Gemeinwesen innerhalb eines konstitutionellen Gesamtstaates stehen. Ein
Beispiel bietet das Verhältnis zwischen Ungarn und Kroatien. Wie in
solchen Fällen die Konstruktion der Partikularverfassung als eines Teile»
der Gesamtverfassung oft vollkommen berechtigt ist und darin jedenfall:
an und für sich nichts Anormales liegt, so wird auch die Sicherstellune
und Durchführung der Verfassung des autonomen Gemeinwesens überhaup!
leichter vor sich gehen, da die homogen konstitutionellen Bestandteile einer
Gesamtverfassung sich gewissermassen gegenseitig bedingen und garantieren
müssen.