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rechts. 3. Die Klausel greift Platz unter der Bedingung, dass die z. Zt.
des Vertragsschlusses bestehenden Verhältnisse sich geändert haben in einer
Weise, dass die Erfüllung des Vertrages nur unter Verletzung höchster
staatlicher Interessen und Zwecke des verpflichteten Staates erfolgen könnte.
SCHMIDT sucht — und wie uns scheint, mit Erfolg — zu beweisen, das
die Klausel kein Institut des positiven Völkerrechts sei, dass aber die der
Klausel zu Grunde liegende Tatsache ein allgemeines Phaenomen des Rechts-
lebens bilde, ferner dass die Tatsachen des Staatenverkehrs, die in der
Klauseltheorie einen unrichtigen Ausdruck gefunden haben, sich nicht auf
das Gebiet des Vertragsrechts beschränken und endlich, dass die Bedin-
gungen der Veränderung der Verhältnisse und der Gefährdung vitaler Inter-
essen zu eng gefasst und daher unzulänglich seien. Was den ersten Punkt
des „thema reprobandum“, die Nichtexistenz einer positiven, die Klausel sta-
tuierenden Norm betrifft, so stellt der Verfasser fest, dass die Anhänger
der Klauseltheorie mit ihren Lehren sich auf dem Gebiet subjektiver natur-
rechtlicher Behauptungen bewegen, indem sie die Klausel mit der Natur
des Staates, des Völkerrechts oder sonstigen Tatsachen begründen, aber
keinen Beweis dafür erbringen, dass die einzigen Erzeuger des Völkerrechts,
die Staaten, in Gewohnheit oder Vereinbarung, als Konsequenz der zur Be-
gründung beigezogenen Momente, eine Norm hatten entstehen lassen, welche
ein Recht auf einseitige Aufhebung der Verträge unter gewissen Umstän-
den ausspräche. Im weiteren zeigt SCHMIDT, dass die Staatenpraxis keinen
Beweis für die Geltung einer solchen Norm gebe, indem Versuche sich der
Klausel zu bedienen stets auf energischen Widerspruch stiessen. Aber auch
für die Zukunft und de lege ferenda scheint die Klausel aussichtslos und,
bedenklich, da sie einer hinreichenden Präzisierung unzugänglich wäre und
deshalb beim Mangel einer den Staaten übergeordneten Justizorganisationen
— Vertragsbrüchen Tür und Tor öffnete, indem sie dem Vertragsbrüchigen
gestattete sein Vorgehen mit einem juristischen Deckmantel zu verhüllen.
Aber auch angenommen, die Klausel hätte positive Geltung, so wären die
von der Doktrin angenommenen Voraussetzungen ihrer Geltung zu eng ge-
fasst; denn einmal können die Situationen, für welche die Klauseltheorie
eine Lösung geben will, auch ohne eine objektive Aenderung der Verhält-
nisse, durch einen Wechsel in der subjektiven Bewertung der Dinge her-
beigeführt werden und sodann kann ein Vertrag, auch ohne dass seine Er-
füllung den einen Kontrahenten in seinen wesentlichen Interessen verletzte,
dadurch seine Daseinsberechtigung verlieren, dass die ratio contrahendi da-
hinfällt. Das den von der Klauseltheorie formulierten Voraussetzungen zu-
grunde liegende Prinzip bedeutet, dass die Geltung eines Vertrages stets auf
dem „wahren und eigentlichen Willen der Kontrahenten“ im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses beruhen sollte. Dass der Parteiwille durch den Ge-
danken, der Vertrag dürfe die vitalen Interessen des Verpflichteten nicht
verletzen, bestimmt ist, stellt lediglich einen Spezialfall, wenn auch den all-
Archiv für öffentliches Recht. XXIV. 4. 40