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gemeinsten und wichtigsten dar.
Nachdem ScHmipT die Klauseltheorie in ihrer bisherigen Fassung als
Ganzes abgelehnt hat, stellt er fest, dass ihr doch ein berechtigter Kern
innewohne. Die Nichteinhaltung von völkerrechtlichen Verpflichtungen,
nicht nur vertraglichen, in Fällen, in denen die Beobachtung des Rechts
zu einem Widerspruch mit dem bei Begründung des Rechts massgebenden
wahren Parteiwillen führt, ist eine regelmässig wiederkehrende Tatsache.
Diese Tatsache zu berücksichtigen ist die Wissenschaft nicht nur berech-
tigt, sondern verpflichtet. Verfehlt aber ist an der Klauseltheorie, dass sie
ein Juristisches Korrektiv des Satzes: pacta sunt servanda gibt. Diese letz-
tere Norm findet nach SCHMIDT lediglich eine tatsächliche, nicht eine recht-
liche Schranke. Die Eigentümlichkeit der internationalen Rechtsordnung,
das Fehlen einer autoritären Sozialgewalt gestattet nicht, dieser tatsäch-
lichen Schranke rechtliche Form zu geben, während das staatliche Recht
in analogen Fällen von Kollisionen zwischen formell geltendem Recht und
sozialer Notwendigkeit in Rechtsinstituten wie der Verjährung, dem Not-
stand, der Straflosigkeit der Souveräne einen Ausgleich zwischen Recht und
Wirklichkeit bietet. Das staatliche Recht liefert aber auch Beispiele von
Normen, die unbestreitbar formell gelten, aber tatsächlich nicht oder nur
beschränkt sich durchsetzen (Rechtsgleichheit, Duellverbot etc.). Die Rechts-
verhältnisse lassen sich eben nicht restlos juristisch erklären, sondern sind
im Zusammenhang aller, auch der präjuristischen soziologischen Faktoren
zu würdigen.
Zum Schlusse mag noch — was SCHMIDT nicht erwähnt — darauf hin-
gewiesen werden, dass die Clausula rebus sic stantibus, allerdings in einer
etwas veränderten, im Grunde jedoch wesensgleichen Gestalt eine ausser-
ordentlich ausgedehnte konventionelle Anerkennung in der sog. Interessen-
klausel der Schiedsverträge gefunden hat. Das Bedenkliche, welches der
Klausel eigen ist und das nach SCHMIDT deren positive Geltung auch für
die Zukunft unwahrscheinlich machen soll, ist in jenen Verträgen dadurch
abgeschwächt oder beseitigt, dass die Parteien entweder ausdrücklich da:
Recht zu diskretionärer Geltendmachung der Klausel zugesichert erhalten,
oder aber, dass die Vorfrage, ob eine Verletzung vitaler Interessen vorliege.
bedingungslos einem Schiedsgericht unterworfen wird. Max Huber.
Niemeyer, Prinzipien des Seekriegsrechts. Berlin 1909.
NIEMEYER behandelt in dieser kleinen Schrift, welche die Wiedergabe
eines in der Juristischen Gesellschaft in Wien gehaltenen Vortrages ist, die
Grundlagen des Seekriegsrechts in grosszügiger, geistreicher Weise. Der
Verfasser hat dabei nicht eine beschreibende Darstellung der geltenden
Normen im Auge, sondern eine Untersuchung der für die Bestimmung der
Sätze des Seekriegsrechts anzuwendenden Methode. Dabei geht er aus von
dem grotianischen Satz: omnia licere in bello quae necessaria sunt ad