— 595 —
lichen Literatur ziemlich vernachlässigter Probleme, welche die Meistbe-
günstigungsklausel betreffen, hingewiesen hat. Max Huber.
Borchardt, Felix, Entwicklungsgeschichte derMeistbegün-
stigungim Handelsvertragssystem. 845. Königsberg
1909.
Während die vorerwähnte Schrift von CAVARETTA in der Hauptsache sich
mit der Interpretation der modernen Meistbegünstigungsklausel beschäftigt.
liegt die Bedeutung der Studie von BORCHARDT in der geschichtlichen, siclhı
auf die wirtschaftliche Seite der Meistbegünstigung beschränkenden Behand-
lung des Stoffs. Nach einer kurzen Darstellung mittelalterlicher Verträge sowi.
der älteren Kapitulationen findet das merkantilistische Handelsvertragssy-
stem eine eingehende Erörterung ; BORCHARDT unterscheidet Gegenseitig-
keitsverträge (und zwar Feststellungs- und Gleichstellungsverträge) einer —-
und Begünstigungsverträge (ausschliessliche und vorzügliche Begünstigungen)
anderseits. Die Begünstigungsverträge sind — wie schon V. STECK sagte —
die eigentlichen Handelsverträge (der Merkantilzeit. Als Meistbegünstigung
lässt der Verfasser nur eine solche Begünstigung gelten, welche mehreren
oder allen Staaten zukommt; sie ist nichts anderes als die allgemeinste
Form der Gleichstellung und zwar eine Gleichstellung mit den individuell
nicht bezeichneten am meisten begünstigten Nationen. Aus der konkreten
Gleichstellung ist so eine abstrakte geworden.
Die auf die merkantilistische Periode folgende Epoche ist durch die Be-
freiung Nordamerikas und den Cobdenvertrag (1860) begrenzt. Während
unter dem Merkantilismus die Hauptbedeutung der Meistbegünstigung im
wirtschaftlichen Fremdenrecht lag, wird in der Folgezeit ihre Wirksamkeit
durch die Ausbildung der Grenzzolltarife mit impersonalen Warenzöllen
auf das Gebiet des Generaltarifs, d. h. auf dessen vertragliche Zusicherung ver-
schoben, wobei spezielle Begünstigungen von der Klausel noch nicht erfasst
werden.
Mit den 60er Jahren beginnen die sog. Tarifverträge, durch welche
einzelne Positionen des Generaltarifs herabgesetzt werden, die typischen
Handelsverträge zu werden. Gleichzeitig wird die Meistbegünstigung aut
die Tarifkonzessionen bezogen, wodurch diese zur modernen vollkommenen
Meistbegünstigung wird. Neben dieser durch extensive Interpretation aus-
gebildeten, zu Gewohnheitsrecht gewordenen sog. europäischen Klausel be-
steht die sog. amerikanische oder Reziprozitäts-Meistbegünstigung, zu der
wohl auch die europäischen Staaten noch ihre Zuflucht nehmen werden.
BoRcHARD"T glaubt nicht wie SOHMOLLER und WoLrF an die Entstehung
einer Mittelform zwischen unbedingter und reziproker Meistbegünstigung.
Der Art. 11 des Frankfurter Friedens, der als unverrückbarer Pfeiler dasteht,
wird die europäische Handelspolitik wohl noch lange an der Inauguration
eines neuen differentiellen Meistbegünstigungssystems hindern.