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Geschäftsordnung darüber und unter der Bezeichnung materielles Prüfungs-
recht die Gültigkeit oder Ungültigkeit der abgegebenen Stimmen, die Ver-
letzung des Wahlgeheimnisses und die Wahlbeeinflussung. Daran schliesst
sich eine Uebersicht über das Recht der Staaten, in welchen eine richter-
liche Wahlprüfung besteht und zum Schluss beschäftigt sich der Verf. mit
der Wahlprüfung in der 'l'heorie und in der Gesetzgebungspolitik. Das ist
Alles ganz gut und schön, wenngleich nicht erschöpfend und ohne be-
merkenswerte Resultate. Dagegen geht der Verf. an einer Reihe von Fragen
vorbei, welche juristisch von besonderem Interesse und in der Literatur
kaum behandelt sind. Dahin gehören namentlich die Ermittelungen, mit
denen der Reichstag den Reichskanzler beauftragt. Da das Reich keine
Organe hat, um diese Ermittelungen vorzunehmen, muss der Reichskanzler
den Auftrag weiter geben; hier entsteht gleich die Frage, ob der Reichs-
kanzler sich an die Regierung des Staates wenden muss oder ob er direkt
bestimmte Behörden mit den Ermittelungen beauftragen kann. Auch wenn
man die erste dieser beiden Alternativen für selbstverständlich hält, fragt
es sich, ob der Reichskanzler unbedingt verpflichtet ist, dem Beschluss des
Reichstags, und die Landesregierung der Requisition des Reichskanzlers
Folge zu leisten, auch wenn der Beschluss des Reichstages aus rechtlichen
oder sachlichen Gründen unzulässig oder unausführbar erscheint. Ferner
erhebt sich die Frage, ob die Gerichte zur Erhebung solcher Feststellungen
zuständig sind und wirksam damit beauftragt werden können, da es sich
um keine zur Gerichtsbarkeit gehörende Angelegenheit handelt. Anderer-
seits sind die Polizeibehörden zu eidlichen Vernehmungen nicht befugt.
Besonders wichtig ist die Frage, ob die Untertanen, ob wahlberechtigt oder
nicht, verpflichtet sind, Auskunft zu geben und sich vernehmen und
event. vereidigen zu lassen. Auch wie weit die requirierten Behörden ihre
Ermittelungen auszudelinen und was sie über das Resultat derselben zu be-
richten haben, ist einer Erörterung wert; denn es ist klar, dass die Beamten
das Resultat ihrer Ermittlung vollständig beeinflussen können, je nachdem
sie Parteigenossen oder politische Gegner des Abgeordneten, dessen Wahl
beanstandet ist, zum Wort kommen lassen. Dies führt zu der weiteren
Frage, inwieweit der Reichstag berechtigt ist, Art und Umfang der Ermitt-
lung, namentlich bei Wahlbeeinflussungen, zu spezialisieren und dadurch in
das Gebiet der Verwaltungstätigkeit einzugreifen. Erörterungen aller dieser
und anderer Fragen könnten namentlich de lege ferenda von Wichtigkeit
werden. Vielleicht veranlassen diese Bemerkungen den Verfasser, seine Er-
örterungen durch einen Aufsatz in dieser Richtung zu ergänzen.
Laband.
Joseph Kohler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie. Berlin und
Leipzig, Dr. Walter Rothschild, 1909, VI und 219 S.
„Was vor 30 Jahren kaum zu ahnen war, ist nun Wirklichkeit gewor-