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Anspruch genommenen Stelle ausdema. u. Vortrage
gelten.
Ist eine derartige Interpretation möglich? Das ist die ent-
scheidende Frage! Präzis formuliert lautet sie: Lassen die Aus-
führungen ZEILLERsS (Kommentar I 21), wonach das Erfordernis
der „Vollständigkeit“ vom Gesetzbuche verlange, „es soll nicht
nur keinen Zweig der Rechtsgeschäfte übergehen; es soll auch
für jeden Zweig so erschöpfende Vorschriften geben, daß der
Rechtsgelehrte jeden möglichen Fall daraus zu entscheiden fähig
sei“, eine Deutung zu, die mit ZEILLERs Ausführungen über
die Lückenhaftigkeit des Gesetzbuches (8.65 f.) in Ein-
klang steht? Ich glaube, daß eine solche Interpretation nicht
nur möglich, sondern sogar die einzig mögliche ist. Allerdings
dann, wenn man die kritische Stelle für sich allein liest,
wird man sie nie anders, als im Sinne der BENTHAMschen „Ge-
schlossenheit des Gesetzbuches“ verstehen können; das ist
auch der Grund, weshalb HATSCHEK dieses Argument in Be-
zug auf den inhaltlich identischen Satz aus dem a.u. Vortrag
uns zweimal] auftischt, am Anfang (S. 444 fi.) und am Ende
seiner Replik (S8. 456 ff.), ja zum Schlusse (S. 457 f.) wird sogar
eine recht wirkungsvolle Synopsis veranstaltet, welche dem Leser
ad oculos demonstrieren soll, daß der alleruntertänigste Vortrag
an die gegenständlichen Ausführungen BENTHAMs geradezu an-
gelehnt sei. Daß es aber nicht angeht, Quellenstellen aus dem
Milieu, in dem sie entstanden sind, herauszureißen und einer
isolierenden Betrachtung zu unterwerfen, sollte an diesem Orte
eigentlich keiner Hervorhebung bedürfen.
Wenn wir den ZEILLERschen Satz, die Vollständigkeit des
Gesetzbuches erfordere, daß der Rechtsgelehrte jeden möglichen
Fall daraus zu entscheiden fähig sei, richtig verstehen wollen, so
müssen wir uns vor allem die wissenschaftliche Persönlichkeit
dieses Mannes vergegenwärtigen. V. ZEILLER steht ganz und
gar im Banne der naturrechtlichen Doktrin seiner Zeit: Er selbst