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schaft des Staates an sich, kann bei einer Spaltung der Staats-
gewalt nur beiden staatlichen Organisationen gemeinsam zu-
stehen.
Endlich ist auch die Behauptung, daß das Reich jetzt schon
Einheitsstaat sei, nicht ohne Vertreter geblieben. Allerdings die
Ansicht, das alte Reich sei 1806 nicht zu Recht aufgelöst, habe
fortbestanden und nach einem Interregnum von 1806 bis 1871
eine neue Kaiserwahl vorgenemmen’, verdient nur Erwähnung
unter der Rubrik der staatsrechtlichen Kuriositäten. Ernster zu
nehmen ist der an die ersten Bismarckschen Entwürfe anknü-
pfende Gedanke von TREITSCHKE, das Reich sei nichts anderes
als die preußische Monarchie mit bündischen Formen ®. In der
Tat kann vom Einheitsstaate als der derzeit für das deutsche
Reich bestehenden Staatsform nicht die Rede sein.
Aber als Staatsform der Zukunft schwebte den Unitariern
von 1867--1871 der Einheitsstaat vor, der damals erreichte
Bundesstaat sollte nur ein Uebergang sein. Schließlich ist alles
nur ein Uebergang, entweder ein schneller, wie der Fuchs meinte,
als man ihm lebendig das Fell über die Ohren zog, oder ein
langsamer. Während die Unitarier aus der Zeit der Reichsgrün-
dung auf baldige Verwirklichung ihres Ideals hofften, etwa wie
die ersten Christen auf Christi Wiederkehr, können wir einen so
schnellen Uebergang — abgesehen von nicht vorher zu berech-
nenden politischen Katastrophen — nicht erwarten. Wir haben
uns vorläufig im Bundesstaate nicht wie in einem Hotelzimmer,
sondern wie im eigenen Heime wohnlich einzurichten. Doch lang-
sam, aber sicher dehnt sich das Gebiet der Reichsgesetzgebung
immer weiter aus, auf immer neuen Gebieten werden die Einzel-
staaten zu ausführenden Organen des höheren Willens des Reichs,
also in der Tat zu Selbstverwaltungskörpern, immer mehr schwin-
5 v, Ruvıute, Das Deutsche Reich ein monarchischer Bundesstaat,
Berlin 1894.
6 v. TREITSCHKE, Politik, Leipzig 1897/98, Bd. 1, S.40, Bd 2. 8. 329 ff.